Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
Katharina Flieger

Fremde Federn

1. Das Kleid der Vögel

In Frau Horváts Wohnzimmerecke steht ein mit Spitzendeckchen belegtes schiefes Tischchen. Darauf, in einem weissen Käfig, posieren Pepík und Max, der Gelbbrust- und der Soldatenara, im Hintergrund ranken sich Blüten und Blätter auf der Tapete. Zuverlässig erhellt Pepík und Max’ Federpracht die Gemüter von Frau Horváts Nachbarinnen. Beim donnerstäglichen Tee vermischt sich das Geschnatter der pensionierten Damen mit dem der Vögel.

Papageien können sprechen, das weiss jedes Kind. Wenn man es richtig anstellt, erzählen sie Geheimnisse aus jener fernen Welt, aus der sie entführt wurden. Das war auch Olga bekannt, Frau Horváts Grossnichte. Meist waren ihre Besuche bei der alten Horvát langweilig – ausser wenn es um Pepík und Max ging. Olga unterhielt sich gerne mit ihnen, erkundigte sich nach ihrem Wohlergehen und stachelte die beiden Papageien zu allerhand Schabernack mit den alten Damen an. Am dringendsten aber wollte sie damals wissen, wo Pepík und Max herkamen, und was sie in ihrem früheren Leben alles gesehen hatten. Pepík kam erst ins Erzählen, wenn er mit rohen Karotten gefüttert wurde. Dann jedoch berichtete er singend von weiten Wäldern und von Ameisen, von Menschen und von Pfützen, von allerlei totem und lebendigem Federgetier, das zu Schmuck verarbeitet wird, der dann auf die Häupter der Menschen wandert. Olga staunte. Und sie verstand. Sie hatte die Federzeichen erkannt, zuhause, auf den Strassen, in den Warenhäusern und im Fernsehen. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen: An Ohren und über Fussgängerstreifen, durch Parkhäuser, Schulhöfe und Sportanlagen wurde getragen, was einst Vogel-Kleid gewesen war.

Heute, Jahre später, erkennt die junge Frau die Zeichen wieder. Sie erinnert sich an Max und Pepík. Jetzt kleben in hitzigen Nächten Federn an schwitzenden Leibern, Gerupftes und Geschnupftes flackert im Tanzlicht. Zu tropischem Trommeln und elektronischen Beats wippt Olgas Körper mit den Federn mit, und sie weiss: So ist es überall auf der Welt, sind Federn stets in Bewegung, an Mensch und Tier, früher und heute. Bloss an einem Ort ruhen sie, Zeugen des Fremden, reglos: In polierten Vitrinen, drapiert auf Sockeln oder an Silk hängend prangen sie, umringt von den grossen Augen staunender Primarschüler. Japsend holen die Kinder Luft, auf den Glasscheiben sammelt sich der warme Atem und in die Ruhe hallt‘s: Afrika! Amerika! Asia!

 

 

2. Federlesen

Hastig in Tinte getaucht, schleift die Gänsefeder über das Papier, hinterlässt stockend und kratzend eine Wortspur. Bananen, Pflaster, Salz: Jakobs Einkaufsliste für den Sparmarkt.

 

 

3. Am Stamm

Rotschwarzweisses Hämmern. Tak tak. Tak, tak tak. Der Buntspecht klopft den Stamm nach Würmern und nach Larven ab. Doch findet er nichts Lebendiges und wundert sich: Dem Stamm fehlt die Rinde. Es klopft zurück. Elektrisches Signal, ein Piepen, und dumpfes Menschenstimmgemurmel. Der Stamm gehört zur Gattung der Telefonmasten. Träger von Drähten, die das alte Berghaus jenseits des Lerchenwaldes mit dem Süden verbinden, jenemTeil der Welt, wohin die anderen Vögel im Winter verschwinden. Schallwellen enden im Flaum seiner Federn: Der Buntspecht will bleiben. Er mischt sich ein in die Fuge der Signale, morst an seine im ganzen Land auf den Telefondrähten versammelten gefiederten Freunde: Tak tak tak. Bleibe no.ch h.ier. Geht. schon mal. Vor.

 

 

4. Steinschwinge

Archaeopteryx erhebt sich über das Massengrab verkohlter und vergaster Saurier, schwingt seine schweren Flügel in die Lüfte und umfliegt die Welt, Jahr für Jahr, bis er sich, alt und müde geworden von den einsamen Runden, in der Fränkischen Alp niederlegt. Er trauert um seine Theropoden-Freunde und überlässt seinen schweren Körper langsam dem Schlaf und dem Kalk. Rist, Kiel und Schaft bleiben im Juragestein erhalten. Pinguin, Pirol und Eichelhäher nehmen das versteinerte Geschenk an, erwecken die Feder zu neuem Leben, tarnen, balzen und verteidigen sich mit der Errungenschaft ihres Urvaters.

 

 

5. Feder-Rüstung

Unter seinem Kopfschmuck aus Federn rückt der junge Zimmermann die Gasmaske zurecht. Mit dem Kleid des Adlers wappnet er sich für den Kampf gegen die anrückenden Feindeshorden und horcht auf die innere Stimme, die ihm Mut zuspricht: Du wirst sie alle in die Flucht schlagen, wirst sie geteert und gefedert im Staub der Wüste liegen lassen. Dein gefiederter Heiligenschein wird dich wärmen und schützen – er hält Staub und ionisierende Strahlung von deinem Körper ab. Verlass dich drauf, Federn tun dies seit jeher.

 

 

6. Augenwolke

Am Stegrand
baut sich der Pfau auf
schlägt sein Rad und
lässt es rund und rundum drehen.

Drosseln hüpfen aufgeregt ums Glückrad
herum, Propeller aus tiefblaugrünsamtenen Pfauenaugen
Dann dreht sich der Federkönig um sich selber
immer schneller, bald rasend
löst sich auf in einer Tagpfauenaugenwolke, davonstiebend über den Sumpf.

Sprachlose Drosseln bleiben zurück.

 

|

Die Schreibzelle 2014 bildete sich als Schreib-und-Lesegemeinschaft im März 2014. Das Dossier Schreibzelle 2014 versammelt folgende Werkgruppen, die sich auch als literarische Nebenräume der Ausstellung Gastspiel im Museum Rietberg verstehen lassen: Damian Christingers Tiraden (erste Staffel), Katharina Fliegers Fremde Federn, Ruedi Widmers Leben im Aarepark, Peter Webers Allee und Daniela Bärs Rochenwald (Erscheinungsdatum Dezember 2014).