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Eva Mackensen

«Wir wollen den Kosmos Festival hinterfragen»

Ein Interview mit Matthias von Hartz, Rabea Grand und Maria Rössler über transnationale Begegnung auf der Landiwiese, Unbehagen im Theaterraum und die Notwendigkeit, im postkolonialen Diskurs einiges nachzuholen.

EVA MACKENSEN: Matthias, das Zürcher Theater Spektakel findet in diesem Jahr erstmals unter deiner künstlerischen Leitung statt. Gemeinsam mit Rabea Grand und Maria Rössler verantwortest du das Programm für die diesjährige Ausgabe. Wie verstehst Du deine Rolle als künstlerischer Leiter? Ging es Dir um Kontinuität, um die Fortsetzung von Altbewährtem – oder darum, dem Festival eine neue Richtung zu geben?

MATTHIAS VON HARTZ: Über diese Frage denkt man natürlich intensiv nach. Aber letztlich ist die Antwort, glaube ich, einfach. Man ist ja man selbst, man hat eine bestimmte Biografie, einen bestimmten Geschmack, man arbeitet mit einer bestimmten Gruppe von Leuten. Dadurch entscheidet sich bereits viel. Dazu kam, dass Rabea, Maria und ich diesen Fokus auf meist noch unbekannte Kunst aus dem globalen Süden, der das Festival seit Jahren prägt, sehr spannend finden. Damit tun sich sehr interessante künstlerische Perspektiven auf, aber auch viele Fragen. Wir haben uns bewusst entschieden, diese Kontinuität zu wahren – nicht nur aus Respekt vor dem, was wir hier vorgefunden haben, sondern weil uns das wirklich interessiert.

Mit dem Diskursprogramm, das ihr neu ins Festivalprogramm integriert habt, wollt ihr die Auseinandersetzung mit postkolonialen Fragen initiieren. Geht es euch auch darum, euch für kritische Perspektiven auf das Festival selbst zu öffnen?

RABEA GRAND: Ja, darum geht es sicher auch. Diese oft hervorragenden Produktionen aus der ganzen Welt werden hier vor einem sehr weissen Publikum gespielt. Aus dieser Konstellation kann ein Unbehagen entstehen, das man nicht so richtig wegbekommt.

MARIA RÖSSLER: Im Theater geht es immer auch um das Zeigen, um das Angeblickt-Werden und Anblicken. Es geht darum, dass sich Menschen mit ihren Körpern vor andere hinstellen, einander begegnen. Die postkoloniale Theorie zeigt unter anderem, dass solche Begegnung nicht immer auf Augenhöhe geschehen. Sie können, selbst wenn sich die Beteiligten dessen nicht bewusst sind, von einer Art der Wahrnehmung geprägt sein, die das Gegenüber als «fremd» oder «exotisch» bewertet, und so ein Hierarchieverhältnis zwischen mir und «dem Anderen» etabliert. Wir sind keine Expert/innen, was diese Fragen angeht…

RABEA GRAND: Wenn man das Team des Theater Spektakels ansieht: Wir sind alle weiss.

MARIA RÖSSLER: …wir haben keine persönlichen Erfahrungen damit gemacht, was es bedeutet, aufgrund der eigenen Hautfarbe anders behandelt zu werden, benachteiligt zu werden. Gross zu werden mit der Vorstellung: Wer «normal» ist, ist anders als ich. Deshalb wollen wir uns diesen Fragen mit der Hilfe von Denker/innen und Wissenschaftler/innen annähern, die darüber schon seit langer Zeit intensiv forschen. Die Vortragsveranstaltungen von Achille Mbembe, Felwine Sarr und Nikita Dhawan auf der Seebühne können, glauben wir, für ein Festival, in dem viele transnationale Begegnung stattfinden, einen kritischen Referenzrahmen bieten. Und dazu führen, auch den Kosmos Festival selbst zu hinterfragen.

Als Schweizer Festival findet das Theater Spektakel in einem Land statt, das – anders als Deutschland und die meisten anderen europäischen Länder – selbst keine Kolonien hatte. Beeinflusst das den postkolonialen Diskurs?

MARIA RÖSSLER: Ganz Europa ist bis heute nicht frei von einem kolonialen Blick. Die Frage, ob die Schweiz Kolonien hatte oder nicht, befreit uns heutzutage als Europäer/innen ja nicht von der Notwendigkeit und der Verantwortung, sich mit globalen Ungleichheiten zu beschäftigen.

MATTHIAS VON HARTZ: Wir begreifen das überhaupt nicht als Schweiz-Thema. Auch in anderen Ländern werden bestimmte Fragen erst heute gestellt: In Frankreich beispielsweise hat die Restitutionsdebatte erst vor kurzem begonnen. Damit, dass man hier etwas nachzuholen hat, befindet man sich in der Schweiz im europäischen Mainstream.

MARIA RÖSSLER: Zugleich werden hier, wie in vielen anderen Ländern auch, die Migrationsdebatten aufgebauscht. Es gibt immer mehr salonfähige Meinungen darüber, dass man sich abschotten, die Grenzen dicht machen solle. Migrant/innen werden als Bedrohung dargestellt, die uns überschwemmt. Auch in dieser Hinsicht muss ein so internationales Festival ein Gegengewicht anbieten. Den verschiedenen Geschichten und Gesichtern von Migration einen Raum geben, in dem ein anderer Blick ermöglicht wird als der, der sich überwiegend in den Medien findet.

Welche Haltung wünscht ihr euch von eurem Publikum?

RABEA GRAND: Offenheit für die Erfahrung anderer. Solidarität.

MATTHIAS VON HARTZ: Um einmal eine Lanze für das Publikum zu brechen: Ich habe den Eindruck, dass Solidarität und Offenheit hier in grossem Ausmass vorhanden sind. Das zeigt sich zum Beispiel an der breiten Unterstützung für die Soli-Tickets, mit denen wir auch Menschen mit geringem Einkommen Vorstellungsbesuche ermöglichen wollen. Auch im Nachdenken über Nachhaltigkeit und Inklusion ist man hier viel weiter als in anderen Kulturinstitutionen, und das wird durch das Publikum voll mitgetragen. Auf dieser Ebene kann man also nicht sagen, dass das Festival nicht selbstkritisch sei. Aber auf anderen Ebenen gibt es Fragen, die offen sind, die uns umtreiben, und an denen wir auch in den kommenden Jahren weiterarbeiten wollen. Was den postkolonialen Diskurs betrifft – und da nehme ich mich selbst nicht aus –, müssen wir alle noch viel lernen.