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Tobias Söldi

Von technologischen Mächten besessen

Frühkommentar zu «Presence» von Royce Ng

Die Macht, die an diesem Abend von der Performerin Stina Fors Besitz ergriffen hat, sitzt in Hongkong. Sie hat eine leicht verzerrte, schnarrende Stimme, mit der sie zum Publikum im Fabriktheater der Roten Fabrik spricht; sie hat ein menschliches Gesicht, mit dem sie sich an die Zuschauer:innen wendet; sie hat einen Körper – den von  Stina Fors –, dem sie Anweisungen gibt und mit dem sie sich über die Bühne bewegt. Fors trägt einen futuristisch anmutenden, verkabelten Helm mit einem «Visier» in Form eines Gesichts. Eine Kamera, an einem aus dem Helm ragenden Stab befestigt, projiziert darauf das Antlitz von Royce Ng, einem Hongkonger Multimedia- und Performance-Künstler. Er ist der Kopf hinter dem Stück «Presence», das an diesem Freitagabend im Rahmen des Zürcher Theaterspektakels Premiere feiert.

Es ist eine unheimliche Gestalt, die sich da im Dunkel der Bühne bewegt: ein Cyborg, halb Mensch, halb Maschine, ein «leerer» Körper, den Royce Ng «bewohnt», den er als Medium nutzt, um in Zürich anwesend zu sein, ein physisch gewordener Avatar. Und es ist eine Gestalt, in der nach eineinhalb Jahren Pandemie nur allzu bekannte Videokonferenztechniken wie Zoom und Skype weitergedacht werden. Da sein, ohne wirklich da zu sein – wer kennt das surreale Gefühl nicht, sich in einem virtuellen Raum mit anderen Menschen beziehungsweise ihren digitalen Entsprechungen zu befinden, sie zu sehen, zu hören, mit ihnen zu sprechen, ohne dabei die eigenen vier Wände zu verlassen? Die Verkörperung durch eine Performerin ist Royce Ngs Versuch, diese Lücke zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, zwischen physischer und virtueller Präsenz, zu schliessen oder wenigstens zu verkleinern. Oder wie es der Künstler einmal während der Performance sagt: «Wie lässt sich mit technischen Mitteln ein Gefühl von Präsenz schaffen, auch wenn tausende Kilometer zwischen den Beteiligten liegen?»

Aber «Presence» ist mehr als bloss eine Reaktion auf und Anpassung an die Reiseeinschränkungen und Distanzgebote einer seltsamen Zeit. Es ist ein intellektueller Rausch, der, je länger das Stück dauert, desto intensiver wird und einem zunehmend den Boden der scheinbaren Gewissheiten unter den Füssen wegzieht. Was bedeutet es, anwesend zu sein? Was ist real, was virtuell? Ist Royce Ng live zugeschaltet oder spricht da bloss eine Aufnahme? Spielt es eine Rolle? Und ist die Vorstellung, «bewohnt» und gesteuert zu werden, so neu? Menschen glaubten – und glauben? –, von Dämonen und Geistern besessen sein zu können. Götter steigen in reinkarnierter Form in irdische Sphären herab, und in diesen Tagen ist ein Virus in die Menschheit gefahren, der dazu geführt hat, dass wir unsere Körper auf eine ganz bestimmte Weise bewegen. Immer wieder brechen Störfaktoren ein in die verschlungenen Diskussionen zwischen Royce Ng und der Stina Fors, die sich schon bald von einer «Besessenen» zu Ngs ebenbürtiger Gesprächspartnerin wandelt: akustisches Stocken, Projektionsfehler, Störgeräusche, Rückkoppelungen, «Can you hear me?». Wir kennen es nur zu gut von Zoom. Das Medium drängt sich in den Vordergrund.

Irgendwann verschwindet Performerin Stina Fors von der Bühne, nur noch die Stimme von Royce Ng ist zu hören. Er beschwört eine dunkle Zukunft herauf, einen autoritären Technostaat, in dem Datensätze Macht bedeuten, in denen Menschen mit Drogen steuerbar gemacht werden, in der die Infrastruktur zusammengebrochen ist und Menschen in verlassenen Städten ums Überleben kämpfen. Rauch strömt von der Decke, psychedelische Muster spielen darauf, flackernde Lichter schiessen durch den Raum, wummernde Bässe, verzerrte Stimmfetzen, verfremdete Gesänge. Die Techniken, die zu Beginn des Stücks noch der Kommunikation, der Verbindung zwischen Hongkong und Zürich, dienten, türmen sich zu einem monströsen Apparat auf, der die Zuschauer:innen zu verschlucken droht.

Nach 50 Minuten ist der Spuk vorbei. Plötzlich findet man sich im Fabriktheater wieder – mit dem Gefühl, von einer Walze überrollt worden zu sein, und ein wenig erleichtert darüber, dass die Realität vor den Türen des Theaters noch die vertraute ist – auch wenn sie sich nach diesem Abend spätestens bei der nächsten Videokonferenz wieder verkomplizieren dürfte.

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Royce Ng ist ein in Honkong lebender Multimedia- und Performance-Künstler. In seiner künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich mit Themen wie internationalem Handel, Ökonomie, Politik, der Geschichte Asiens und Drogen. Ng greift diese Themen in Performances und Installationen auf, die sich oft durch einen virtuosen Umgang mit den Möglichkeiten moderner Technologie und einen immersiven Charakter auszeichnen. Zusammen mit der australischen Anthropologin Daisy Bisenieks bildet Ng das Duo Zheng Mahler, das sich im Bereich zwischen Bildender Kunst, künstlerischer Forschung und Anthropologie bewegt. 2013 bis 2016 war Zeng Mahler Artist in Residence im Johann-Jacobs-Museums in Zürich. Auch am «Theaterspektakel» ist Royce Ng kein Unbekannter: 2019 etwa feierte die Performance «Queen Zomia» über eine berüchtigte Drogenbaronin aus Zomia, einem südostasiatischen Hochland, am Theaterspektakel Premiere.