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Eva Vögtli

Türme, Trümmer, Träume

Menschen können alles: Sich ohne gemeinsame Sprache verstehen, sich ohne erkennbares Problem zerstreiten, Türme bauen, im Guten wie im Bösen. Ein Versuch, den eigenen Ort auf einer Welt zu verstehen, in der Territorien und ihre Verteilung keinen Sinn mehr machen.

Legotürme

Als Kind stellte ich mir das Szenario des Turmbaus zu Babel so vor: Barfüssige, bärtige, mit braunen Lendenschürzen bekleidete Männer einer Stadt, irgendwo südlich der Schweiz, erträumten sich einen riesigen Wolkenkratzer. Sie stapelten Tag und Nacht Steine aufeinander, schwitzten, litten, bis der weissbärtige Alte, der im Himmel auf einer Wolke ein Schläfchen hielt, sich in seiner Ruhe gestört fühlte. Ein Donner, ein Blitz, ein Wunder: In meiner Vorstellung redete ein Arbeiter plötzlich Amharisch, ein anderer Portugiesisch und ein dritter Kroatisch. Die daraus folgenden Missverständnisse machten es unmöglich, den Turm zu vollenden. «Was für eine alberne Strafe», dachte ich. «Was ist mit den Bauplänen passiert? Den Zeichnungen? Zeichensprache? Hand und Fuss?» Selbst Kinder sind in der Lage, miteinander und ohne Worte mehrtürmige Sandburgen zu errichten. Meine Schwester und ich bauten damals zusammen die grössten Legotürme. Manchmal krönte sie sich zur Bauherrin – «Hol mir die Steine, wir machen das jetzt so!» – denn sie war die Ältere und genoss Autorität. So war der Turmbau kein Problem. Wenn ich hingegen opponierte und mein einziges Druckmittel einsetzte («Dann spiele ich halt nicht mehr mit!»), führten unsere divergierenden Vorstellungen zu Streit und Geschrei.

Meine Mutter ist Theologin. Sie deutete mir den Turmbau zu Babel so: Die Erzähler der Geschichte fragten sich, weshalb Menschen an verschiedenen Orten auf der Welt leben und verschiedene Sprachen sprechen. In der Antike gab es weder Sprachforschung noch Gesellschaftswissenschaften. Man stellte sich vor, der Mensch müsse durch sein Vorhaben, den Himmel zu erreichen, Gott erzürnt haben. Gleichzeitig, so meine Mutter, schwingt in der Geschichte die Sehnsucht nach einer einzigen, universellen Sprache mit – nach einem paradiesischen Urzustand, in dem alle Menschen gleich sind.

Dass die gemeinsame Muttersprache nicht allein entscheidet, ob ich mit jemandem auskomme, wurde mir als Kind schnell bewusst. In meiner damaligen «Multikulti»-Nachbarschaft lernte ich Wörter aus anderen Sprachen, die meine Freundinnen mir beibrachten. Soweit ich mich erinnere, empfand ich das als exotisch und aufregend. Wenn die Mutter einer Freundin ukrainisches Essen auf den Tisch zauberte, genoss ich es, Teil dieser «anderen Welt» zu werden. Herkunft war kein Hindernis und die verbale Kommunikation war nie wichtiger als die nonverbale – verstanden fühle ich mich auch heute dann am besten, wenn ein Blick genügt.

Doch wieso der Streit mit meiner gleichsprachigen Schwester, wenn doch der Weissbärtige die Menschen mit Mehrsprachigkeit bestraft hatte? Nach Friedemann Schulz von Thuns Vier-Ohren-Modell gerieten wir in Schwierigkeiten, weil wir sachlich klar, doch beziehungstechnisch gestört kommunizierten. Sie war die Stärkere. Ich lief davon.

Harmonie wünscht sich jeder und teils vielleicht zu sehr. Jemanden zu überreden, die eigene Meinung zu teilen, kann nicht die Lösung sein. «Agree to disagree», beendete meine Schwester kürzlich einen Konflikt. Wir sind auf einer höheren Beziehungsebene angelangt. Nicht einverstanden sein, und trotzdem übereinkommen. Kompromisse schliessen. Ich lernte sogar ihre Kritik zu schätzen, weil sie mich oft weiterbringt. Das Motiv des Turmbaus zu Babel steht in meiner Sicht vor allem für die Tatsache, dass Verständnis und Gelingen nicht auf Einstimmigkeit beruhen, sondern darauf, dass man in der Eigenart des Anderen eine Bereicherung sieht.

 

Leben in einer Bubble

Sprache kann vereinen, Unterschiede aufzeigen, Meinungen transportieren, Kompromisse aushandeln, werten, zustimmen, verletzen, trösten. Sie kann Klarheit schaffen oder manipulieren. Rhetorik kann selbst Blei in Gold verwandeln. Wie man aus dem schlechteren Argument das bessere macht, lehrten bereits die Sophisten der griechischen Antike. Meine ältere Schwester beherrschte diese Taktik übrigens sehr gut. Sie konnte mir jedes Spielzeug als das bessere verkaufen.

Die Macht der Worte beherrschten aber auch die schlimmsten Täter der Geschichte. Das Schwingen von massenwirksamen Reden ermöglichte diversen Diktatoren, ihre Machtposition und damit verbundene Gräueltaten. Wer zu wissen glaubt, die Lösung für Alle zu kennen, duldet keinen Widerspruch – andere Haltungen werden als minderwertig betitelt und verdrängt. Hinter einem machthungrigen Egomanen steht meist eine Truppe von Anhängern. In der Gruppe der Gleichgesinnten fühlen sie sich stark. Sie wähnen sich im Paradies, wo Löwen und Vögel in perfekter Einheit dieselbe Sprache sprechen. Gewalt, die sie nach innen oder aussen ausüben, wird dadurch erst möglich. Es sind nicht verschiedene Sprachen, die zum Krieg führen, sondern ökonomische, politische, religiöse Differenzen von Gruppen, die einander in ihrer Existenz bedrohen. Dann wird Sprache, als Indiz für «Andersartigkeit», zum Alarmsignal. Ein anderer Dialekt, ein anderes Aussehen und Vorurteile – dahin ist die Sprachgrenzen überwindende Verständigung.

Gestern war ich auf einer Familienfeier meines Freundes. «Živjeli!» statt «Prost!» Ich verstehe kein Wort – ich bin im Begriff, mich am Buffet mit zuckrigem Kuchen vollzustopfen. Eine Frau redet mit mir. Ich lächle und nicke und antworte, ohne zu wissen, ob sie mich versteht. Aber «nema problema» – ich weiss, ich bin trotzdem willkommen. Die Kroaten, die ich kenne, sind sehr gastfreundliche, herzliche Menschen. Wir verstehen uns gut. Und dann befremden sie mich wieder mit ihrem bis heute andauernden Hass gegen die Serben. Der serbische Dialekt sei arrogant, sagen sie. Die Serben seien Kriegsverbrecher.

Der Krieg hinterliess Wunden, die bis heute nicht verheilt sind. Vorurteile werden durch Erziehung und Sozialisierung weitergegeben. In einem Buch mit junger kroatischer Literatur mit dem Titel «Kein Gott in Susedgrad», stiess ich auf eine Kindheitserinnerung des Autors Simo Mraović. Der als Kroate aufwachsende Simo entdeckt darin seine wahre Nationalität: Ein in Kroatien lebender Serbe. Fortan ist Simo Fan des serbischen Fussballteams und prügelt sich nicht mehr mit den Serben, sondern den Kroaten. Kinder seien anfällig für nationalistische Gefühle, schreibt Mraović.
Den Vergleich mit Fussballclubs und Nationalstolz macht auch Friedrich Dürrenmatt in einer nicht zu Ende geschriebenen Geschichte des Bandes «Turmbau». Darin steht der Fussballclub als Metapher für die Schweizer Armee, welche sich als notwendig erachtet und überzeugt ist, zu gewinnen, würde sie jemals «auswärts spielen». Fussball und Nationalstolz, Sprache und Militärgewalt haben offenbar miteinander zu tun.

Fussball, Bier und Hooligans. Der Übergang von blau zu braun ist fliessend. Und dann schwingen noch Leute eine Nationalflagge, die sonst mit Patriotismus wenig am Hut haben. Ich selbst schwang die kroatische Flagge, feuerte Modrić, Vida und Subašić an und verfluchte die Franzosen, als sie Hrvatska im Finale bezwangen.

 

Zuckerrohrplantagen

In Pieter Bruegels Gemälde des Turmbaus, das sich heute im Kunsthistorischen Museum Wien befindet, sehen die Menschen moderner aus als in meiner kindlichen Vorstellung. In der Mode des 16. Jahrhunderts zu sehen sind König Nimrod als Bauherr, seine Gefolgschaft, und Arbeiter, die wie Insekten auf dem gigantischen Bau herumkrabbeln. Steine schleppen, Schweiss, Peitschenhiebe. Worin hätten sie den Sinn ihrer Arbeit sehen sollen? Im Grunde liessen sie ihr Leben für den Repräsentationsbau eines einzelnen Herrschers. Nimrod stellte sein Ego über ethische Werte. Während er die Arbeiter versklavte, verschlossen andere Wohlhabende die Augen. Ich stelle mir vor, die Versklavten verbündeten sich, spielten nicht mehr mit und verteilten sich auf der Welt, um kompromisslos Türme nach eigenen Vorstellungen zu entwerfen, aus denen am Ende Trümmerhaufen wurden.

Meine Studienfreundin Cássia hat sich in einer künstlerischen Arbeit mit der heutigen Sklaverei, in Zuckerrohrplantagen in Brasilien, ihrem Heimatland, auseinandergesetzt. Diese moderne Form der Sklaverei ist nicht mit den Zuständen von vor 300 oder 400 Jahren zu vergleichen, als die Sklaverei weitgehend legal war. Was analog ist: Menschen werden wie Dinge behandelt. Es geht um die missachtete Menschenwürde und um die fehlende Möglichkeit, ein angemessenes Leben zu führen. Es geht um Machtfragen des Postkolonialismus und um Unterdrückung. Die Regierung Brasiliens hat bereits 1995 anerkannt, dass es immer noch Sklaverei im Land gibt. Bis heute kämpfen einzelne Menschenrechtler gegen sie an.
40 Grad Hitze, zwölf Arbeitsstunden am Tag. Dehydriert, mit schlechter Schutzkleidung gegen die scharfen Kanten der Pflanzen und die gleissende Sonne, schneiden die Plantagenarbeiter ihr Leben lang Zuckerrohr. Sie werden nicht alt. Cássias Arbeit enthielt 39 aus geschmolzenem Zucker gegossene Baseballmützen, als Hommage an einen Plantagearbeiter, der im Alter von 39 Jahren infolge der Arbeitsbedingungen starb. Baseballmützen, weil politische Kampagnen diese gratis an die Arbeiter verteilen. Aufgedruckt sind Slogans der Politiker, die versprechen, etwas an ihrem Leid zu ändern, was nie passiert. Analphabetismus wird taktisch ausgenutzt. Die Arbeiter unterschreiben Verträge, die sie weder lesen noch verstehen können. Während meine Freundin ihr Projekt verfolgte, wurden in Brasilien die Gesetze gegen Sklaverei gelockert.
Schlussendlich wird der Zucker exportiert – in eine andere Welt, in der sich kaum jemand für dessen Herkunft interessiert. Wer will schon beim Kuchenbacken oder Ethanol tanken mit der Ausbeutung brasilianischer Plantagenarbeiter*innen konfrontiert werden? Die innere Harmonie wäre stark gestört, würden wir uns täglich mit unserer ausbeuterischen Ader beschäftigen.

Cássia gewann für ihre Arbeit eine Auszeichnung, doch die Aufnahmeprüfung zum Masterstudium bestand sie nicht, was sie an sich selber zweifeln liess: «Lag es an mir, an denen, an der Sprache oder an unterschiedlichen Vorstellungen?» Sie braucht bei Bewerbungsschreiben Korrekturhilfen und ist vor Präsentationen mitleiderregend nervös. Zugegeben, ich verstehe selbst nicht jedes Wort aus ihrem Mund. Doch ich verstehe immer, was sie meint. Neulich erzählte sie mir, sie habe inzwischen auch Probleme mit der portugiesischen Sprache, weil sie diese so selten brauche. «Weisst du, ich spreche diese Sprache nicht richtig und die andere auch nicht – ich fühle mich so dumm», sagte sie. Kann ich mich in sie hineinversetzen? Kaum. Ich habe nie die Nachteile erfahren, über lange Zeit in einem Land fremdsprachig zu sein. Was nicht bedeutet, dass ich mich immer von allen verstanden fühle. Von Cássia hingegen schon: Sie ist für mich wie eine Schwester, mit der ich ohne Streit Türme bauen kann.

 

Mehrmehrmehr

Friedrich Dürrenmatt hat sein Theaterstück «Der Turmbau zu Babel» nie vollendet. Im Band «Turmbau» erläutert er die Ausgangsidee: Nebukadnezar, der von einem ungeheuerlichen Selbsthass getriebene Herrscher von Babylon, hat die Erde unterjocht und die Völker gezwungen, den immensen Turm zu bauen, weil er den Himmel erobern und Gott, den Schöpfer dieser unsinnigen Welt, töten will. Im Himmel angekommen, trifft er statt auf Gott auf einen Greis, der tote Atome mit einem Besen zusammenkehrt. Wo Gott sei, schreit Nebukadnezar, er sei gekommen, ihn zu töten, den Urverbrecher. Das habe er auch einmal unternommen, entgegnet der Alte, eintönig vor sich hinleiernd. In Urzeiten habe auch er die Erde unterjocht und die Völker gezwungen, das Unmögliche zu unternehmen, einen Turm zu bauen, hoch, unermesslich, den Himmel zu erobern. Wie Nebukadnezar habe auch er ins Grenzenlose gebaut. Nun habe ihn der König von Babylon erlöst, nun sei es an diesem, den Weltendachboden zu kehren. Diese Arbeit habe doch keinen Sinn, schreit Nebukadnezar. Im Nichts habe nichts einen Sinn, antwortet der Alte.

Der Turm als Symbol für Grössenwahn, Macht und Rivalität. Babylons Turm als Symbol der Herrschaft des Königs über das eine Volk, das ihm bedingungslos gehorcht. Stadttürme als Statussymbole von Kaufleuten und Bankiers, die sich gegenseitig übertrumpfen. Bergfriede zum Schutz vor Feinden, Grenzpostentürmchen markieren Grenzen. KZ Kamine ragen wie Türme in den Himmel und erinnern uns daran, wohin Grössenwahn, Machtgier und die Fantasie der «Reinrassigkeit» führten.

Die Künstlerin Nina Staehli setzt sich in ihrem Werk «Battlefields of Cupiditas» (Vgl. Interview mit Nina Staehli) mit der Besiedelung von Nordamerika und der Vertreibung der Native Americans auseinander: Die Weissen zu Pferd, einer pfiff, sie ritten los. Das Feld, das einer innert bestimmter Zeit umreiten konnte, gehörte ihm. Ganz ähnlich funktioniert die Erzählung von Tolstoi, in der ein Bauer nach mehr Land giert. Er gerät an den Teufel, getarnt als alter Mann, Verwalter von fruchtbaren Ländereien. Der Bauer geht einen Deal ein: Das von ihm zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang umrundete Land soll ihm gehören. Weil der Bauer immer noch mehr besitzen will – noch diese Flussschlaufe, noch jenen Hügel – fällt er, als die Sonne untergeht, vor Erschöpfung tot um. Sein Knecht begräbt ihn. Der Titel der Erzählung: «Wie viel Erde braucht der Mensch?» Für das Begräbnis sind nicht mehr als zwei Quadratmeter nötig. Nina Staehli führte Interviews mit Natives aus dem Choctaw und dem Cherokee Tribe. Wie sieht die Gier aus? Wo im Körper ist sie angelegt? Jemand fand, das Gierorgan liege neben dem Herz. Jemand anderes sah es als Riesengeschwür im Kopf. Der Werktitel «Cupiditas» bedeutet nebst Gier auch Begehren, Verlangen, Lust, Leidenschaft, Herrschsucht, Ehrgeiz, Habsucht, Geldgier, Genusssucht, Parteilichkeit. Wo liegt die Grenze zwischen Menschlichkeit und zerstörender Gier? Und wenn jeder Mensch ein Gier-Organ besitzt, wie sieht es dann in mir aus?

Als Schweizerin gehöre ich zu den Privilegierten, die mehr Wohlstand besitzen als die meisten anderen Menschen auf der Welt. Als Frau sehe ich mich mit der Ungerechtigkeit konfrontiert, für selbe Arbeit womöglich weniger zu verdienen als ein Mann. Wenn ich früher um Taschengelderhöhung bettelte, hiess es, andere Kinder hätten nicht mal ein Dach über dem Kopf. Natürlich ging es mir danach nicht besser. Gleichzeitig wurde ich mit Werbung berieselt, die vorgaukelte, ich besässe zu wenig. In einer kapitalistischen Welt wird einem eingetrichtert, dass man ist, was man hat. «Nein!», schreit mein Gewissen. «Ich bin kein Auto, kein Haus, kein Gegenstand.» Ich versuche, wie ein Fisch gegen den Strom ankämpfend, mich nicht über Besitztümer zu definieren, sondern darüber, wie ich mit meinen Mitmenschen umspringe. Liebe und Freundschaft, als Lösung gegen eine materialistische Gier. Die Gier, die vorspielt, alles was der Mensch zum Leben brauche, sei käuflich. Trotzdem habe ich das ungute Gefühl, dass diese Einstellung nicht ausreicht, wenn unser alltägliche Konsum die postkoloniale Ausbeutung weitertreibt und den Planeten zerstört, den wir uns alle teilen. Die Ungleichberechtigung zwischen Mann und Frau und die Gewissheit, dass Kinder ohne Dach über dem Kopf leben, lässt sich nicht durch eine aufgehaltene Autotür oder ein weihnachtliches Spendengeld ausgleichen. Mani Matter sang schon: «Dene wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser wos weniger guet geit. Was aber nid geit, ohni dass’s dene weniger guet geit wos guet geit.»

Ist Nebukadnezars Wunsch, Gott zu töten und eine bessere Welt zu schaffen, ein menschliches, und deshalb verständliches Bedürfnis? Wird nicht Krieg unter demselben Vorwand geführt, Ausbeutung unter demselben Vorwand betrieben? Waffenindustrie, Tierversuche, Organhandel, Künstliche Intelligenz, Gottspielen. Yuval Noah Hararis letzter Satz im Nachwort von «A Brief History of Humankind» lautet: «Is there anything more dangerous than dissatisfied and irresponsible gods who don’t know what they want?” Ist es Unzufriedenheit, Selbsthass oder Gier, die den Forscher und den Kriegstreiber lenkt? Oder Langeweile? Hatten meine Schwester und ich früher alle Legosteine aufgebraucht, langweilten wir uns, bis unsere Mutter die Türme auseinanderbaute, damit wir von vorne beginnen konnten. Hätten wir unbegrenzt viele Steine gehabt, wäre uns der Turm über den Kopf gewachsen oder eingestürzt.

 

Kunst als universelle Sprache?

Nachdem die «unzivilisierten Wilden» der USA einst vertrieben waren, wurden sie als «moralisch Unverdorbene» glorifiziert. Winnetou lässt grüssen. Heute werden Schrumpfköpfe und Federschmuck in Museen präsentiert, mit der deklarierten Absicht, die Geschichte Amerikas aufzuarbeiten. Das System der Wiedergutmachung ist zwiespältig. Aus der Darstellung der zuvor ausgemerzten Kultur wird Profit geschlagen. Ein Tauschhandel, wie bei der Darstellung von Krieg und seinen Opfern: Ist das Aufklärung oder Voyeurismus? Kriegsfotografen wie James Nachtwey sagen, die Opfer erhielten so eine Stimme, die Welt solle mitbekommen, was mit ihnen geschieht. Blicken wir in die Köpfe der Betrachter, ist das eine zweischneidige Sache. Die Erzeugung von Rührung angesichts von Kunstwerken, in denen Gewalt dargestellt wird, ist legitim, wenn sie den Betrachtenden zum Handeln bewegt. So jedenfalls das Ideal der Aufklärung seit Friedrich Schiller: Konfrontiert mit Leid und Ungerechtigkeit wird sich das Subjekt der eigenen moralischen Werte bewusst und erfährt, dass diese Gültigkeit haben. Vielleich bietet Kunst wirklich die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Kunst als universelle Sprache. Doch richtiges Handeln setzt Offenheit der Menschen für Rührung und für neue Ansichten voraus. Diskussionen statt Gleichheit – damit liessen sich stabilere Türme und freiere Städte bauen. Es liegt in der Hand der Menschen. «Nicht, was die Menschen über Gott, sondern was sie über sich glauben, macht das Schicksal der Sterblichen aus», schrieb Dürrenmatt.