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Luisa Tschannen

Trockene Zeiten und Darmwinde

Alles hat eine Seele, auch Objekte. Die Compagnie Cie Non Nova unter der künstlerischen Leitung Phia Ménards huldigt diesem animistischen Seelenkonzept, indem sie im Objekttheater Gegenstände als Haupt- und Nebendarsteller*innen eines Stücks auftreten lässt.

Im Gegensatz zum Theater, in dem Menschen auftreten, ist im Objekttheater keine Person auf der Bühne zu sehen, sondern ein Plastiksack, ein Kalkstein oder vielleicht ein Büschel Heu und dazu der Wind. Dass der Wind eine Rolle einnimmt, ist eine einmalige Chance – nicht für ihn – sondern für die Zuschauer*innen. Denn den Wind als Figur zu betrachten ist ein seltenes Glück im städtischen Steinbruch einer allzu normativen Fantasie. Und den Wind gar in der Hauptrolle sehen und hören zu können, das passiert sonst nur bei Sturm, und auch da meist nur gemeinsam mit dem Regen.

L’Après-midi d’un foehn, der Titel des Objekttheaters, erzählt vom Nachmittag eines Föhnes und ist Titel eines Kindertheaterstücks, welches die Kompagnie Cie Non Nova am Theaterspektakel in Zürich 2019 zum zweiten Mal aufführt, bereits 2012 wurde es gespielt.

Als Kinder sagten wir: «Du hesch gföhnt!» Und meinten damit nicht, dass eine sich die Haare hübsch getrocknet hätte, sondern dass sie oder er gefurzt hatte. Im Stück jedoch ist mit «foehn» wahrscheinlich ein trockener, warmer Fallwind gemeint, so einer, wie er die Berge hinabsaust und durch die Felder streicht. Im Kindertheaterstück der Compagnie pustet der Föhn kleine Plastikfigürchen herum, so dass sie tanzen und durch diese Bewegungen lebendig erscheinen, durch ihre figurative Gestaltung wie kleine, liebenswerte Menschlein wirken – vom Wind ferngesteuerte Roboter sozusagen.

Phia Ménard liess sich bereits zu Beginn ihrer Regiekarriere auf Objekte ein, denn sie begann als Jongleuse. 1998 gründete sie die Compagnie Cie Non Nova, und entwickelte mit dieser eine eigene Theatersprache, die zwischen Pantomime, Tanz, Jonglage und Performance balanciert. Mit diesen artistischen Ausdrucksweisen untersucht sie unter anderem die Elemente der Natur, indem sie mit schmelzendem Eis jonglierte, nun lässt sie in L’Après-midi d’un foehn den Wind Plastiktüten jonglieren.

Doch nicht nur ihre künstlerische Tätigkeit verwandelte sich, auch sie selbst in ihrem Körper, denn sie wurde als Mann geboren und ist zur Frau geworden. Im Stück Saison Sèche, der zweiten am Theaterspektakel aufgeführten Inszenierung ihrer Compagnie, wird denn auch ein Kampf gegen das Patriachat aufgeführt. Der Titel Saison Sèche, «Trockene Saison» – sèche; französisch für dürr, spröde, hager, niederschlagsarm – lässt Assoziationen an Scheidentrockenheit aufkommen.

Doch wie ich mich täusche, wenn mich eine Kindheitserinnerung auf die Idee bringt, dass «foehn» eine Anspielung auf einen Darmwind sei, so kann ich mich auch dabei Täuschen, hinter einer trockenen Zeit die vom Patriachat aus dem Gleichgewicht geratene weibliche Intimflora zu vermuten.

Denn L’Après-midi d’un foehn spielt auf ein berühmtes Musikstück Debussys an; Prélude à l’après-midi d’un faune, ein Instrumental- und Hauptwerk des musikalischen Impressionismus. Dieses bezieht sich wiederum auf ein Gedicht des französischen Schriftstellers Mallarmé; L’Aprés-midi d’un faune. In diesem schwärmt ein Faun in einem rauschhaften Monolog von seinen Erlebnissen am Morgen. Während dem er seine Panflöte schnitzte, traf er auf zwei Nymphen – halb unklar ist, ob er dies im Traum oder wach erlebte. Diese Nymphen, die er daraufhin verfolgte, flüchteten, doch er fand zwei neue, packte sie und schleppte sie zu einer Lichtung. Es ist unklar, was dann geschah, aber auch diese zwei Nymphen entkamen. Zwischen Reue und Rechtfertigung bewegt sich der Monolog des Fauns. Diesem Gedicht aus dem Jahre 1876, welches Lust aus einer männlichen Perspektive schildert, steht nun ein Regisseurin entgegen, die beide, die weibliche und die männliche Perspektive kennt, denn durch ihre Transgenderidentität erlebte sie, wie es ist, eine Identität und einen Körper des einen und anderen Geschlechts zu haben. Interessant ist, dass Phia Ménard nach ihrer Geschlechtsumwandlung in ihren Arbeiten vermehrt damit begann, hetero-patriarchale Normalitäten auf gesellschaftlicher Ebene zu kritisieren, eine Erweiterung zur transfeministischen Thematik der an den Körper gebundenen sexuellen Identität. Die trockene Saison, eine getanzte Antwort weiblicher Wut auf ein männlich-narzisstisch dominiertes Machtgefälle.

 

Cie Non Nova nennt sich die Compagnie Phia Ménards. Non Nova heisst soviel wie «Nicht neu» und steht für das Vorgehen der Compagnie, altes zu transformieren. Cie hingegen versteht die Autorin nicht. Hat es mit dem lateinischen Verb «cieo» «in Bewegung halten» zu tun? Übersetzungsschwierigkeiten, sprachlicher und geistlicher Art, hatten sich auch in einen ersten Entwurf des Textes geschlichen: «Session Séche» statt «Saison Séche» stand da, und die Bedeutung des Titels wurde mit «Trockene Sitzung» gänzlich missgedeutet.