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Janica Irina Madjar

Swipen und kotzen

Links, links, links.
Glotzen und swipen und kotzen.

Manchmal auch Kopfschütteln. Ich schaue mir Männer bei Tinder an. Nicht mit dem alleinigen Interesse, einen von ihnen «in echt» zu treffen. Wie ihr Parfüm riecht, weiss ich schon. Der Duft bleibt an den Kleidern kleben, strömt mir auch Stunden später in die Nasenhöhlen, wie Gas, leise und hinterhältig. Nein, ich glotze und grinde mit dem zweifelhaften Vergnügen, am Marianengraben der der männlichen Abgründe zu stehen. Alle Extreme auf einen Blick, hammer! 

Kurz zur Erklärung, was Tinder ist: Zum Beispiel für Menschen wie meine Mutter, die hier diesen Text lesen. Oder für Menschen in glücklichen oder monogamen Beziehungen. Oder für solche, die von weitem missmutig aufs Internet grimmen. Mithilfe einer GPS-Funktion schlägt diese App der Nutzer*in auf Grund von Angaben wie Geschlecht, Alter und sexueller Orientierung Datingoptionen vor, die sich in der Nähe befinden. Ein Swipe nach links bedeutet ein «Nein», einer nach rechts ein «Gefällt mir». Erst durch einen gegenseitigen Like, einen «Match», eröffnet sich die Option, per Chat ins Gespräch zu treten. Tinder verzichtet bei der Filterung von Vorschlägen auf weitere Angaben wie die politischen Einstellungen oder Interessen. Die App schlägt einem schlicht jede Person in der geografischen Nähe vor. Dabei werden die meisten Like-Entscheidungen auf Grund des ersten Fotos getroffen. 

Es ist eine Entscheidung, sich bei Tinder einzuloggen. Eine Entscheidung für Fotos. Eine Entscheidung, diesen Bildern Worte hinzuzufügen. Tinder bietet einen limitierten Space für Eigenwerbung. Wort und Bild werden also, würde man glauben, relativ sorgfältig ausgewählt. Erstaunlich, was da in drei kleinen Schritten schief gehen kann. 

Typ Nr. 1, nennen wir ihn Till, beruft sich auf einen Spruch, der bei seiner Mutter auf einem Metallschild in der Küche hängt. Till schreibt «Live Love Laugh», oder Marco schreibt «Never Give up» und #loyal und Nathanael: «Making sweet Memories (hoffentlich mit dir)». Hoffentlich nicht. 

Typ Nr. 2 nennt körperliche Eigenschaften. Leider habe ich Probleme mit den amerikanischen Massen. Aber zur Info: Manuel ist 5ft 10in. Und Franco sagt: «Bestimmt grösser als du.»

Typ Nr. 3 ist mein liebster. Er nimmt seine Erwartungen an ein Date gleich vorweg. Sebastian zum Beispiel: «Keine gemachten Nägel.» Und Felix: «No Vanillas.» Marcel: «Suche Frau.» Ja, Marcel, wir wissen, wieso nicht erfolgreich. Mein Profil liegt gewiss auch in einer verstaubten Schublade eines potentiellen Gegenübers rum, ich will nicht wissen, in welcher. Wahrscheinlich in der Nähe des Typs, der Tinder links-ironisch scheisse findet und trotzdem nutzt. 

 

Niemand schaut sich mein Profil öfter an als ich selbst. Tausende Pixel, die zusammenwachsen zu einem Haufen von Erinnerungen irgendwie, angeordnet in den jeweiligen Frames. Selbstdarstellung ja, aber die wurde durch die Sozialen Medien und Dating-Apps nicht neu erfunden. Was früher die Leinwand war, macht heute das Internet. Sie ist eine Bühne für Wort und Bild. Die Menschen liessen sich malen. Hatten Wutanfälle, weil sie anders dargestellt wurden, als sie sich selbst sahen. Lange hatten nur die Maler*innen die Möglichkeit, ihr Bild selber zu bestimmen. Die Fotografie veränderte das, mit Selfies und Filter werden Einzelpersonen flächendeckend wieder zu Maler*innen. Das kuratierte Ich im Aufschwung. Napoleon hätte sich darüber bestimmt gefreut.

Als Tindernutzer*in übernehme ich die Kontrolle über die Wirkung, wenn ich die Bilder für mein Profil auswähle. «Impression management» oder «impression monitoring» nennt Janelle Ward, in einer Studie zur Selbstdarstellung auf Datingapps, diesen Vorgang. Ich manage mich selbst, performe mit eingezogenem Bauch bei einem Date, oder eben auf einer Bühne der Internet-Halböffentlichkeit. Ich zeige mich und ich zeige, nach wem ich Ausschau halte. Ein Balanceakt, ich reisse mir die Haut auf an den harten Oberflächen von Authentizität und Manipulation. Ich rechne mit ein, dass auch mein Date unter langen Ärmeln geschürfte Haut versteckt. Es ist wie wenn ich durch das Dunkel der Clubs stolpere und Gesichter anschaue. Am nächsten Tag funkeln sie trotz Morgensonne nicht mehr auf dieselbe Weise, wie in der Dämmerung zuvor.

Wir sind  alle auf der Suche nach einem Profil, das unserem eigenen ähnelt. Eine gesunde  Mischung aus oberflächlicher Anziehung und gescheit gewählten Worten. Ich analysiere die Erwartungen meines Gegenübers. Sie liegen gleich neben meinen eigenen.

Heute grinde ich bei Tinder, früher bei Sims 3. Wir geben uns beim Erstellen des virtuellen Charakters, die Eigenschaften, die wir zu haben glauben oder gerne besässen. Das macht die Generation Youtube auch beim Offline-Dating so. Auf der Strasse sehen wir Menschen, die uns nicht interessieren und plötzlich einen, der uns gefällt. Im besten Fall sagt diese Person etwas Lustiges, Schlaues, oder Bequemes. It’s a match, yeah endorphine! Aber das ist das Problem am Offlineleben. Es nimmt keine Rücksicht auf romantische Vorstellungen genährt von Hollywood Romcoms. Einen Crush zu haben, bedeutet einfach extrem nah an crushing zu sein.

 

Tinder bietet die Möglichkeit, die Missverständnisse beim Paaren zu überspringen. Ein Match ist die  Bereitschaft, in Kontakt zu treten. Es ist ein Vorspulen der Liebesgeschichte. Kapitalistische Effizienz beim Flirten, oder die Vermeidung von Schmerz und Stress. Ohne das Abschätzen und Einordnen der Gefühle vom Gegenüber.

Mit Zahlen geht Tinder knausrig um, aber Ende 2023 sollen über 100 Millionen Menschen Tinder genutzt haben. Über 100 Millionen Herzen, bereit, sich zu verlieben. Aus 100 Matches resultieren im Schnitt zwei Dates. Und das sind wahrscheinlich nicht einmal die Guten. Tinder ist ein Sehnsuchtsort mit Videospiel-Vibes. User öffnen die App durchschnittlich sieben Mal am Tag und swipen eine Dauer zwischen sieben und neun Minuten. Ich swipe im totalen High durch Belanglosigkeit. Fühle mich wie bei Fruit Ninja. Swipen und glotzen, selten ficken.

Tinder ist ein vakuumverpackter Ort der Anerkennung. Ein elendiger Zwischenraum, um in Kontakt zu treten. Bei Tinder feiert der Hedonismus die eigene Abgefucktheit, der Selbstoptimierungsglamour wetteifert mit der Lust an der Selbstzerstörung. Irgendwo in den USA lachen sich die Leute vom Unternehmen «Match Group» hinter Tinder, sabbernd ins Fäustchen. Die Kassen klingeln. Wir schwimmen in wohlig seichtem Wasser. Unsere Lover sind der Treibstoff, Ego Booster, die sich dem eigenen Selbstwert entlang hangeln. Schon hunderte Male wollte ich mich lösen, auf die eigene Entlarvung reagieren. Aber fühlen und denken sind Lichtjahre voneinander entfernt. Liebe ist ein vakuumverpackter Ort der Anerkennung. Wir sind unsere eigene Sonne. Es gilt, diese Dissonanzen zwischen Getriebenheit, Fremdbestätigung, Ironie, und Selbsthass auszuhalten. Sie sind ein Schlichtungsangebot der Gegenwart. Wer flüchtet, verliert sich. Ich schliesse mich den Schwimmenden an, oder schaue vom Beckenrand zu. Aber ich bin in der gottverdammten Badeanstalt. Ich swipe und swipe, will etwas einfangen, das ich selbst nicht definieren kann. Ich schwitze dabei. Beim dritten Hinsehen erahne ich Glitches. Die Fakes lauern überall, aber ich kann ihnen auf die Schliche kommen. Sie sind eine verspielte Werbeoffensive des Selbst und seiner Produkte hinter überspitzer, glänzender Wirklichkeit.

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Love me Tinder, love me sweet, das Hirn quillt mir aus dem Schädel.