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Der Balken in meinem Auge

„Schönheit ist nicht per se korrupt.“ Gespräch mit Pipilotti Rist

Die Schweizer Künstlerin spricht mit Gastspiel-Kurator Damian Christinger über die gemeinsame Affinität zu Japan, kulturelle Archetypen und die Daseinsberechtigung „schöner“ Kunst.

DAMIAN CHRISTINGER: Zu Beginn die Frage, die mich sehr interessiert: Wer spielt dieses Banjo, das deine Installation musikalisch begleitet?

PIPILOTTI RIST: Das Banjo ist gespielt von Heinz Rohrer, einem Musiker und Freund aus meiner Jugendzeit, der seit Jahren auf diesem Banjo herumklimpert, das aber eigentlich nie vorführt. Ganz Wenige aus dem Süden der USA, er nennt die „Folkskommunisten“, haben diese Tradition erhalten, und er ging zu ihnen in den Unterricht, hat das gelernt. Ich habe ihn gebeten, zu spielen, habe die Aufnahmen dann verschnellert oder verlangsamt und er hat den Soundtrack am Computer fertig arrangiert.

Musik spielt ja seit jeher eine grosse Rolle in Deinen Werken. Wie wählst Du Musik aus? Ist das eine bewusste Entscheidung oder wählst Du instinktiv?

Ich habe gerade meine männliche Phase. Auch im Video kommen nur männliche Figuren vor, die Arbeit ist eigentlich eine Hommage an die Zärtlichkeit des Mannes. Inhaltlich, vom Bild her, interessiert mich die Arbeit mit den Fingern, mit der Berührung, das Sehen der Welt mit den Fingern. Das ist das Hauptthema der Kameraführung. Das Spielen des Banjos erzählt auch vom Wunsch an die Dinge, unseren Körper zu berühren, und wie wir die Welt ertasten, auf der Haut, hinter der Haut. Das war für mich eine wichtige Verbindung.

 

Wem gehören diese Hände, die bei Deiner Aussenprojektion durch die Blumen streichen? Einer männlichen Muse?

Das ist ein junger Bauer aus Südengland, der mehrere Jahre als Sklave gehalten wurde. Das gibt es in England: Strassenkinder werden von Baufirmen gekidnappt und müssen von frühmorgens bis spätabends auf den Bauplätzen arbeiten. Die Polizei greift nicht ein, weil sie froh ist, wenn die Kinder von der Strasse weg sind. Er hat eine extreme Sensibilität und ein haptisches Wissen. Wie er seine Zärtlichkeit, seine ganze verschüttete Liebe in die Finger reinsteckt, das hab ich versucht darzustellen. Als er die Aufnahmen zum ersten Mal sah, dachte er natürlich, ich sei in ihn verliebt, und ich habe plötzlich verstanden, wie es den Malern geht, auch begriffen, was „Muse“ ist: Man versucht, das Objekt mit der grösstmöglichen Empathie darzustellen.

Vor eineinhalb Jahren habe ich dir eine japanische No-Maske ausgeliehen, dazu einen Holzschnitt, auf dem man die entsprechenden Kostüme sieht. Wie ist daraus dein Kunstwerk entstanden?

 

Du hast uns Künstlern ja frei gelassen, welche geographische Gegend, welche Objekte wir auswählen wollen. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft für die japanische Kultur, die der schweizerischen ja sehr ähnlich ist. Die Aussenprojektion war quasi Deine Idee, Du wolltest nicht auf der offensichtlichen Seite projizieren, sondern auf der Eingangsseite, die ja wiederum selber ein Gesicht ist. Die Türe ist ein Mund, die Augen sind die Fenster, durch die sieht man hinein, man wirft aber durch sie auch Blicke in die Welt hinaus. Das ist dann gestaffelt mit der Maske hinten im Haus. Weiter ist der Körper unser Haus, das Hirn ist dahinter, und wir reden, personare, das Wort Person kommt vom Durch-tönen, man nimmt andere Menschen durch die Stimme und die persona wahr. Dann hat Dave Lang Projektionsabstandzeichnungen gemacht, Tamara Voser ein Budget, Metallteile wurden gezeichnet und geschweisst.

Ich wurde ein bisschen nervös, weil an der Technik bis zum Schluss gearbeitet werden musste.

Das Gespräch von Damian Christinger und Pipilotti Rist wurde am 6. September im Museum Rietberg geführt. Verschriftlicht wurde es von Daniela Bär.

Heinz Rohrer spielt jeden Sonntagabend mit dem ‚Aad Hollander Trio From Hell’ im Helsinki Klub in Zürich.