Rietberg Publikumsforschung V: Kunst-Träume
Anna Laubbach, Kunststudentin, Jahrgang 1989:
In Marseille hatte ich einmal eine Yogalehrerin, die sah ein wenig aus wie diese Frau. Sie nannte sich Monica und war aus Taiwan. Die geben sich oft irgendeinen europäisch klingenden, kurzen Namen, dabei heissen sie fünf Zeilen lang. Sie war eine seltsame Frau: lustig, manchmal herzlich, aber auch sehr trocken und harsch. Ich musste sie immerzu anstarren.
Ihr Gesicht war das, was mir von ihrer Yogastunde am meisten geblieben ist. Ich weiss noch, wie sie mich fragte, wie man „tomato juice“ auf französisch sagt. Mich, die schon jahrelang in Marseille gewohnt hatte, und trotzdem so schlecht französisch konnte. Am Schluss schenkte sie mir einen Holzarmreif. Ich weiss gar nicht mehr, wo der ist. Irgendwann bekam er einen Sprung. Und nun hängt ihr Gesicht hier und schaut mich an. „Jus de tomate“ heisst es.
thematisiertes Werk/Objekt:
Rojo, No-Maske einer alten Frau, Japan, Mitte/ Ende Edo Zeit, 18./19. Jahrhundert.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Nosi Scherz, Szenenbildnerin, Jahrgang 1988:
Diese Maske erinnert mich an einen Traum. In diesem Traum ist alles um mich herum verschwunden, weggezogen von irgendeiner Kraft. Ich bin alleine und stehe lange im Nichts. Dieses Gefühl, dass alles um einen herum verschwindet, das war ein extremes Erlebnis für mich. Unheimlich. Ich habe keine Ahnung, was dieser Traum zu bedeuten hatte, aber diese Maske hat mich an ihn erinnert. Ich habe den Eindruck, der grosse Mund der Maske sauge etwas ein. Im Traum habe ich nicht gesehen, was es war, was es alles um mich herum weggezogen hat. Eine unsichtbare Kraft. Wenn ich dieses Gesicht betrachte, könnte ich mir gut vorstellen, dass es diese Maske war.
thematisierte Werke/Objekte:
Drei Masken, bugle, Liberia, Werkstatt der südwestlichen Dan-Region um 1900, Holz, Metall, Glasperlen, Geschenk Rietberg-Kreis; Dauerleihgabe Barbara und Eberhard Fischer.
Mimi Turm, Kostümbildnerin, Jahrgang 1987:
Man sagt ja, dass immer wiederkehrende Träume mehr Bedeutung in sich tragen. Es gibt einen Traum, den ich immer wieder träume. In meinem Traum geht es darum, dass ich in eine Holzkiste gesperrt werde und sich der Deckel schliesst. Ich bin in dieser Kiste, und man lässt mich an einem Seil nach unten, in einen reissenden Fluss. Das Paradoxe ist, dass ich in dieser Holzkiste eigentlich keine Luft bekomme, ausser ich schwimme in der Kiste gegen den Strom. Dann und nur dann kann ich nach Luft schnappen. Der Traum spielt sich immer genau gleich ab: Ich schaffe es, so lange gegen den Strom zu schwimmen, bis ich irgendwann erschöpft aufgeben muss und drohe, zu ersticken. In dem Moment wache ich auf und ringe nach Luft. Dieser Wal symbolisiert für mich diesen Traum. Ich stelle mir vor, dass ich in diesem Wal bin, und er für mich gegen den Strom schwimmt.
thematisiertes Werk/Objekt:
Kayak, Wal, Alaska.
Vera, kaufmännische Angestellte, Jahrgang 1990:
Meine Arbeitskollegin war kürzlich im Schwarzwald in einem Museum. In der Ausstellung wurden Fische gezeigt, die in der Umgebung des Schwarzwalds heimisch sind oder waren. Darunter ein Bild der Schweinsforelle: ein Fisch mit kleinen Flügeln und Schweinsnase. Sie hielt das Bild für eine Fotomontage und googelte die Schweinsforelle. Tatsächlich war auf der Seite der ZHAW ein Eintrag zur Schweinsforelle zu finden. Wir wissen bis heute nicht, ob es sich um ein Fake handelt. Diese Figur hier sieht genauso aus wie die Schweinsforelle.
thematisierte Werke/Objekte:
Gefässe Peru, Chimu-Kultur, 12.–15. Jahrhundert.
Mimi Turm, Kostümbildnerin, Jahrgang 1987:
Diese Maske wurde entweder aus freier Phantasie erschaffen oder nach einem Modell. Falls der Handwerker ein Modell verwendete, war das wahrscheinlich jemand, dem gerade die Weisheitszähne gezogen wurden. Das erkennt man gut an den angeschwollenen Backen und dem Schmerz in seinem Gesicht. Wahrscheinlich wurden dem Modell alle vier Zähne gleichzeitig gezogen, wie damals meiner Freundin Julia, und er konnte sich nur noch von Blödsinn oder Glace, Flüssignahrung und Medikamenten ernähren. Wie Julia damals.
thematisiertes Werk/Objekt:
Holzmaske Kamerun, Bamlicks-Werkstatt der Banks-Region, 19./ frühes 20. Jahrhundert, Geschenk Eduard von der Heydt.
Carla, Soziologin, Jahrgang 1980:
Darf man Buddha-Statuen in der Küche aufstellen? Mein Altar jedenfalls steht im Küchenschrank. Es ist ein römisch-katholisch geprägter, vielleicht etwas profaner Altar. Allerdings ist er typisch für den Katholizismus. Ich bin sehr katholisch erzogen worden, da ich jedoch nicht mehr ganz den Anforderungen dieses Glaubens entspreche, suche ich mir meine eigenen Wege. Der Altar ist aber auch von einem längeren Aufenthalt in Neapel inspiriert: Neapolitaner sind die abergläubischsten und gleichzeitig religiösesten Menschen, die ich kenne. Diese beiden Aspekte kommen in Neapel sehr gut zusammen.
Ich finde diese Art der Würdigung durch einen Altar eine schöne Komponente des katholischen Glaubens. Die Dinge, die ich aufstelle, finden sonst nirgendwo Platz. Bilder meiner Grosseltern oder Andenken an meinen verstorbenen Hund. Unter anderem aber auch die Zeichnung eines Buddhas. Ich kann mich noch gut an die Situation erinnern, als ich sie gekauft habe, frühmorgens in der burmesischen Bagan-Ebene. Der Verkäufer hat mein Geld genommen, damit über seine restlichen Waren gewedelt und gemurmelt „morning money lucky money, morning money lucky money, morning money lucky money“. Dazu habe ich eine in Bronze gegossene Buddhastatue gekauft – die chinesische Version. Mir hat die Form gefallen, der runde Bauch. Die Figur entspricht eher meiner eurozentrischen Vorstellung vom Buddhismus. Sie erinnert mich auch an Sumoringer.
Die Buddha-Zeichnungen hängen jeweils hinten am Altar. Die Buddharepräsentationen sind zwar Souvenirs, für mich passen sie jedoch gut in meinen Schrein. Wieso sollte ein Buddha neben Maria und Jesus, den Fotos, dem Halsband und den Haarbüscheln meines verstorbenen Hundes, dem Bild des Autos meines Nonnos, welches ich zu Schrott gefahren habe, und den verschiedenen Talismanen nicht auch noch was zu sagen haben? Der Altar ist mein privates historisches Museum.
thematisiertes Werk/Objekt:
Buddha aus Ausstellungsbroschüre.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Spezialausgabe
Gastspiel im Gastspiel
Die Zollfreilager-Publikumsforschungsabteilung besteht aus dem Redaktionsteam von Zollfreilager sowie aus ZHdK-Studierenden, die 2015 im Modul „Rezeption Interaktion Partizipation“ des Master Art Education studierten.