RIETBERG PUBLIKUMSFORSCHUNG III: SENSIBLE EXPONATE
Barbara, Grafikerin, Jahrgang 1982:
Ich habe gemerkt, warum ich nie in solche Museen gehe: Wenn ich da reinkomme, wird mir immer unwohl. Man riecht noch das Mittagessen, die Suppe aus der Cafeteria, dieser Geruch vermischt sich mit dem Anblick dieser staubigen und haarigen Skulpturen, und in mir wächst eine Art von Ekel. Gleichzeitig entsteht dieses peinliche Gefühl, diese Scham, weil ich mich vor Masken und Skulpturen aus anderen Kulturen ekle und sie damit beleidige. Ich fühle mich in diesen Momenten völlig dämlich und unverständlich, aber irgendetwas wiederstrebt mir.
Am schlimmsten finde ich die Exponate, die Haare dran haben, weil diese etwas so Lebendiges haben. Ich denke dann: Das sind Haare, die haben mal jemandem gehört. Der Tod kommt mir dabei auch in den Sinn. Ich bin sehr froh, wenn diese Skulpturen in ihren Vitrinen eingesperrt sind und der Duft dieser Skulpturen auch gleich miteingesperrt ist – dieser Geruch würde mich sonst vielleicht umhauen.
Ich muss mich wirklich schämen für meine Gedanken. Diese Objekte wurden aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kenne, von den Völkern dieser Kulturen hergestellt. Vielleicht finden sie unsere Sachen auch hässlich, das kann ja sein. Vielleicht ist es auch mein allgemeines Problem mit Dreck und unsauberen Dingen. Ich bin sehr reinlich und ich glaube, diese Objekte widersprechen meinem Reinheitsgefühl. Besser geht es mir mit Steinskulpturen, auch diese japanischen Vasen oder chinesischen Keramikprodukte lieber – vor allem, weil sie abwaschbar sind.
thematisierte Werke/Objekte:
Kongo, Skulpturen der Songye – Saal 14.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Max Weber, Lehrer für Geographie und Volkswirtschaft , Jahrgang 1949:
Diese Figur gefällt mir am besten. Ein listig dreinschauender Mann. Er wird mich bald übers Ohr hauen. Er wird mir eine Kuh verkaufen, oder sogar ein Kamel oder sonst etwas. Er schaut mich an, als ob er sagen will: „Nimmst du diese Kuh? Es ist zwar eine Ziege in dieser Kuh, aber wenn ich dich noch lange genug anschaue, kann ich dir diese Ziege als Kuh verkaufen.“
Grossartig, wie der gemacht ist, mit seinen grossen Augen, seinen grossen Nasennüstern und den zusammengebissenen Lippen. „Kaufst du sie jetzt endlich, diese Kuh?“ Der schaut ja immer noch. Wenn er mich noch weiter anschaut – da bin ich mir sicher – zaubert er noch weitere vier, fünf Ziegen hervor und verkauft sie mir als Kühe. Der macht das mit allen so. Und ich bin mir sicher, er ist erfolgreich damit. Er macht das, weil das sein Leben ist. Der hat halt keine Kühe! So läuft das. Der macht allen das ganze Leben lang ein „X“ als ein „U“ vor. Und er macht das sogar noch sympathisch. Er ist nicht unsympathisch, er ist kein Böser.
thematisiertes Werk/Objekt:
Beshimi, No-Maske eines Dämons, Japan, Momoyama, 16./ 17 Jahrhundert, Beginn Edo Zeit.
Barbara, Grafikerin, Jahrgang 1982:
In meiner Kindheit war ich mal in Alcatraz, dem Gefängnis auf der Insel bei San Francisco, wo die gefährlichsten Straftäter eingesperrt wurden. Jetzt ist es ein Museum. Wir sind bei einer Zelle angekommen, bei der beschrieben war, wie von dort einmal drei Gefangene geflüchtet sind: Sie formten aus altem Brot Köpfe und legten diese auf die Kissen und deckten sie zu, sodass die Wächter dachten, es liege da tatsächlich jemand drin. Um das besser zu vermitteln, lagen dort in diesen Betten auch tatsächlich Brotköpfe. Das hat mich so geekelt. Ich fand das so grusig, so etwa wie diese haarigen Holzskulpturen.
thematisierte Werke/Objekte:
Japan, Nô-Masken.
Fabienne, Studentin, Jahrgang 1985:
Masken irritieren mich. Irgendwie muss ich dann immer an das Zitat von Oscar Wilde denken: „Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich selbst spricht. Gib ihm eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen.“ Vielleicht sollten wir alle öfters Masken tragen.
thematisiertes Werk/Objekt:
Königsmaske, tukah – Bamileke-Meister von Bamendjo, Kamerun, Batcham-Region, 19. Jahrhundert.
Mimi Turm, Kostümbildnerin, Jahrgang 1987:
Diese Maske sieht aus wie ein Ameisenbär. Sie erinnert mich an die Opferkultur. Und sie ruft mir ein Heavy Metal-Konzert in Erinnerung. Ein Konzert eines Bekannten und seiner Band. Sie trugen Masken, aussergewöhnliche oder keine Kleider und übergossen sich mit Blut. Nicht so „verkleiderlimässig“, es war echtes Blut. Sie haben sich gegenseitig damit eingeschmiert, es überall auf der Bühne ausgeschüttet, eine riesige Sauerei, ein Ritual untermalt von düsterer Musik und Licht. Es war eine Welt für sich, und ich fühlte mich nicht dazu gehörig. Etwas unheimlich war es schon, das Blut schockierte mich jedoch nicht so stark wie die anderen Leute. Ich kann mit diesem Kult nicht viel anfangen. Ich denke mir auch, dass das nicht die einzigen Rituale sind, die die Bandmitglieder ausleben. Es ist ja quasi ein Lebenstil, eine eigene Religion. Da ich die Bühne nachher putzen musste, konnte ich das Konzert und diese Schlacht nicht so geniessen. Jedem das Seine, meins war es irgendwie nicht. Aber die Masken, die haben mir eigentlich gut gefallen.
thematisiertes Werk/Objekt:
Maske, Kònò, Mali, Koutiala-Region, Werkstatt der Minianka um 1900, Holz, Opferkrustenpatina, Geschenk Berthe Kofler-Erni.
Andi, Zimmermann, Jahrgang 1985:
In der Ukraine habe ich einen Inder kennen gelernt. Ich frage mich, was er über diese Instrumente berichten könnte oder ob er schon einmal ähnliche gesehen hat. Mit ihm war ich auch mal an einem Punk-Rock Konzert in der Ukraine. Er hat das überhaupt nicht gekannt, ist aber einfach mitgekommen. Am Anfang stand er recht unbeteiligt da, aber am Schluss hat er dann voll mitgemacht, ist herumgetanzt und -gesprungen.
Die Musik und vor allem die Tanzart – wie man sich an solch einem Konzert verhält – kannte er nicht. Er ist ziemlich unter die Räder gekommen beim Pogen. Er war sehr fein, wie ein Holzspiess, ein sehr guter Läufer. Am Schluss des Konzerts war er mittendrin, mit einem riesigen Smile.
thematisiertes Werk/Objekt:
Rietberg Museum, Klang/Körper, Saiteninstrumente aus Indien, Sonderausstellung.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Spezialausgabe
Gastspiel im Gastspiel
Die Zollfreilager-Publikumsforschungsabteilung besteht aus dem Redaktionsteam von Zollfreilager sowie aus ZHdK-Studierenden, die 2015 im Modul „Rezeption Interaktion Partizipation“ des Master Art Education studierten.