Rietberg Publikumsforschung II: Ostasiatische Anreicherung
Hermann, 1958, Werbeberater:
Buddhas hatte man in meiner Jugend natürlich schon gekannt. Damit sind wir ein wenig aufgewachsen: Vor allem im Teenager-Alter war das Mode, und vorwiegend bei den Mädchen. Natürlich hatte auch meine Frau damals Buddhas. Und wenn man als junger Mann verliebt war und Interesse zeigen wollte, musste man das natürlich gut finden. Man trug dann selbstverständlich auch die dazu passende Kleidung, indische Baumwollhemden, die den ganzen Tag juckten, parfümierte sich mit Patchouli und schminkte sich die Augen mit Kajal. Ich glaube, die ganze Schweizer Jugend roch damals nach Patchouli. Wenn ich diesen Duft heute rieche, regrediere ich immer wieder zum Sechzehnjährigen.
Was damals auch nicht fehlen durfte, waren die Räucherstäbli. Zu dieser Zeit hatte man zu den Dingen noch nicht so viele Informationen wie jetzt, das Internet gab es damals noch nicht. Für unsere Eltern war das eine fremde Welt – sie dachten, der Duft der Räucherstäbli wäre eine Droge. Zum Teil gab es heftige Diskussionen in der Familie: „Das chunt mir nüme ins Huus!“ bekam ich das eine oder andere Mal von meinen Eltern zu hören.
thematisierte Werke/Objekte:
034: Adibuddha Vajrasattva, Tibet, 15. Jahrhundert/Messing/Sammlung Berti Aschmann/BA 209/Urbuddah Vajradhara/Tibet, 16. Jahrhundert/Kupferlegierung, vergoldet/Sammlung Berti Aschmann/BA 23//Sechsarmiger Amooghasiddhi/Tibet, 17. Jahrhundert/Kupferlegierung, vergoldet/Sammlung Berti Aschmann/BA 212.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Sabine, Studentin, Jahrgang 1984:
Die Installation von Pipilotti Rist ruft bei mir Erinnerungen an nächtliche Goapartys im Zürcher Wald hervor, an denen ich als Jugendliche war. Dort hingen auch beleuchte Dinge in den Baumästen, dunkel war es ebenfalls und die Farben der angebrachten Spots entsprachen etwa denjenigen, die in Pipilotti Rists Installation auftauchen. Vielleicht assoziiere ich die Installation auch einfach mit besagten Goapartys, weil ich die dortige Szenerie oftmals als etwas surreal und traumartig wahrgenommen habe und mir es auf den ersten Blick mit Rists Werk hier ebenso ergeht. Vielleicht liegt darin, in der Ähnlichkeit mit Traumbildern, wieder die Begegnung mit dem Fremden, Ungewohnten, eben auch dem faszinierend Anderen.
thematisiertes Werk/Objekt:
Pipilotti Rist: Maske und Larve (Vater), 2014.
Marianne, Kunsttherapeutin, Jahrgang 1961:
Vor über dreissig Jahren, da war ich in Bali oder Java an einem Feuertanz. Die Atmosphäre hier mit den Lichtern und den Schatten erinnert mich daran. Diese Maske auf dem Holzpfeiler wirkt wie ein Mensch, der übers Feuer tanzt. Damals fuhr uns ein Einheimischer in einem alten Auto aus dem Dorf hinaus in die Dunkelheit. Völlig im Abseits hat er uns aussteigen lassen. Wir mussten noch ein Stück gehen, bis wir schliesslich einen Unterstand und eine Bühne aus Holz erreichten. Die Menschen dort trugen alle Masken, ähnlich wie diese hier. Die Stimmung war sehr speziell und wir fürchteten uns ein wenig dort, so abgeschieden und im Dunkeln mit diesen Tänzern. Es war das gar Fremde, das unheimlich war. Andere Reisende gab es nicht, nur uns. Und diese Männer haben auch ziemlich laut gerufen. Dieses Geschrei und die Dunkelheit, zusammen mit der Feuerglut und den Masken, das war sehr eindrücklich. Sie haben sich in Trance gesungen und bewegt, mit seltsamen Tänzen und Geräuschen. Und dann sind sie tatsächlich über diese brennenden Kohlen getanzt. Also nur diejenigen, die in Trance waren. Dass sie das wirklich tun, hätte ich nicht erwartet – wir hatten zwar zuvor davon gehört, aber es nie ganz geglaubt.
thematisiertes Werk/Objekt:
Pipilotti Rist: Maske und Larve (Vater), 2014
Marianne, Kunsttherapeutin, Jahrgang 1961:
Vor etwa 30 Jahren besuchte ich im Süden von Thailand einen buddhistischen Tempel. Es war erst der zweite Tempel, den ich gesehen habe. Der erste war in Bangkok, ein sehr berühmter Tempel mit einem riesigen Buddha. Der war zwar schön, mehr aber auch nicht. Hier in der Schweiz fühle ich mich nie wohl in Kirchen und halte es auch nicht lange darin aus. Etwas Besonderes gespürt habe ich dabei noch nie, im Gegenteil. Doch in diesem zweiten buddhistischen Tempel, wo es auch Mönche gab, dort spürte ich dann dieses besondere Gefühl von Frieden und Ruhe. Ich fühlte mich extrem wohl. Sehr entspannt und mit dem Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben war. Alles da draussen spielte keine Rolle mehr. Ich sass einfach nur da, barfuss, zwischen Kerzenlichtern und dem Geruch von Räucherstäbchen, dem Buddha und den friedlichen Mönchen. Es war das erste Mal, dass ich ein religiöses Erlebnis hatte. Es gab dort auch einen kleinen Innenhof mit vielen Pflanzen und bunten Tüchern, es war eine völlig andere Welt als draussen, wo so viel Betrieb war. Ich wollte nicht mehr hinaus und habe keine Ahnung, wie lange ich da drinnen war, weil Zeit keine Rolle mehr spielte.
thematisiertes Werk/Objekt:
Tempel: Sitzender Buddha, Thailand, Ayuddhya-Periode
Hermann, 1958, Werbeberater:
Asiaten sind uns in ihrer Denk- und Lebensweise sehr fern. In meiner Jugend, als man noch nicht so viel reisen konnte, hatte man ja nur die Asiaten gekannt, die hier bei uns lebten, und das waren damals wenige. Heute gibt es in fast jeder Schulklasse ein Kind mit asiatischen Wurzeln. In unserem Dorf gab es zu jener Zeit, wir waren etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, Flüchtlinge aus dem Vietnamkrieg. Es ist eine ganz seltsame Erinnerung: Es waren nur Kinder, die Eltern hatten sie im Krieg verloren. Die Jüngste war vielleicht zehn, die Älteste 18 Jahre alt. Fünf Kinder, zwei Mädchen und drei Jungen.
Die Kinder haben, von der Kirche unterstützt, in unserer Gemeinde eine Wohnung bekommen, in der sie als Flüchtlinge leben durften. Wir haben sie dann natürlich auch eingeladen, und die Gemeinde hat alles daran gesetzt, dass sie sich bei uns integrieren können. Mit der Sprachhürde war das aber nicht einfach: Sie konnten kein Englisch und wir ja auch nicht.
Ich erinnere mich daran, wie sie uns einmal zum Essen einluden. Die beiden Mädchen mussten in der Küche essen und uns bedienen, während die drei Jungs mit uns und unseren Freundinnen am Tisch sassen und assen. Wir konnten das nicht verstehen, das war für uns völlig irreal. Aber nach ihrer Tradition gehörten die Frauen nicht mit an den Tisch. Ich fand das grausam, obwohl ich selbst zu einer Zeit aufgewachsen bin, in der die Kirchen in der Mitte geteilt waren und links die Männer und rechts die Frauen sassen.
thematisiertes Werk/Objekt:
039: Flusslandschaft/Dong Qichang (1555-1636)/China, Ming-Dynastie, datiert 1624/Tusche auf Papier/Geschenk Charles A. Drenowatz/RCH 1141.
Die Interviews fanden im Zeitraum August bis November 2014 im Museum Rietberg statt. Geführt und transkribiert wurden sie von Jeanette Badura, Sabrina Barbieri, Nadia Canonica, Stephanie Frey, Jasmine Giovanelli, Bruno Heller, Fabienne Horat, Fabienne Kälin, Sabrina Nater, Nina Oppliger, Anna Studer, Anika Rosen, Erika Unternährer und Eva Wottreng. Die Publikation der hier versammelten Äusserungen und Erzählungen erfolgt mit dem Einverständnis der Sprechenden, deren Namen, wo das Bedürfnis bestand, geändert wurden.
Spezialausgabe
Gastspiel im Gastspiel
Die Zollfreilager-Publikumsforschungsabteilung besteht aus dem Redaktionsteam von Zollfreilager sowie aus ZHdK-Studierenden, die 2015 im Modul „Rezeption Interaktion Partizipation“ des Master Art Education studierten.