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Valérie Hug

Prinzessin, Drogenbaronin, Nonne

Olive Yang entschied sich gegen ein Leben im Elfenbeinturm und ertrug dafür Gefängnis und Folter. Sie brach aus Geschlechterrollen aus, heizte mit ihren Affären die Gerüchteküche an und legte einen Aufstand bei, bevor sie – so erzählt man es sich – in ihren letzten Jahren Mitglied eines Ordens wurde. Ein (Anti-) Märchen in Anlehnung an Royce Ng’s «Queen Zomia».

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Land namens China. Dort lebte ein Mann namens Yang Gao Sho. Yang Gao Sho war ein äusserst erfolgreicher Militäroffizier. Doch er lebte in stürmischen Zeiten. Denn dieser Tage ging die Ming-Dynastie in China zu Ende. Die übrig gebliebenen Ming-Prinzen flüchteten gen Süden, wo wenig später auch ihre Regentschaft durch die Hand der Mandchu ein Ende finden sollte. Da Yang Gao Sho ein loyaler Anhänger der Ming war, zog es auch ihn in den Süden Chinas, in die Provinz Yunnan. Dort lebte er bis ans Ende seiner Tage. Seine beiden Söhne aber mussten fliehen, da die Mandschu sämtliche Ming-Sympathisanten verfolgten. Einer davon – es war Yang Ying – fand den Weg in eine Gegend, die man später als Kokang kennen sollte. Dessen Sohn wiederum, Yang Shien Tsai, gründete 1739 dort das Territorium Shin Da Hu. Er war es auch, der die lokale Bevölkerung von Banditen befreite und ihr Schutz gewährte. So kam es, dass die Yang zur militärischen Herrscher-Familie aufstiegen. Fortan ward das Gebiet Kokang genannt und es ward immer grösser. Generation um Generation, Stockwerk um Stockwerk baute die Yang-Familie ihren Herrscher-Turm weiter in die Höhe. Sie lebten wie Könige und Königinnen. Wer zu den Yang gehörte, dem*der mangelte es an nichts.

Dieses Leben war auch Yang Lyin Hsui bestimmt. 1927 erblickte die Tochter von Kolonel Sao Yang Wen Pin, dem Herrscher über Kokang, das Licht der Welt. Doch anders als ihre zehn Geschwister fand Yang Lyin Hsui – oder Olive Yang, wie sie lieber genannt wurde – kein Gefallen daran, in diesem Elfenbeinturm als Prinzessin zu leben. Sie weigerte sich, wie ihre Schwestern sich die Füsse zu binden, tat es lieber ihren Brüdern gleich und trug Jungenkleidung. Auch was ihr Liebesleben anging, so kam es für sie nicht in Frage, der Konvention zu folgen. Ihren Eltern behagte dieses Verhalten überhaupt nicht. Sie wollten nicht mehr tatenlos zusehen, wie Olive Yang ihren Turm nach und nach zum Einstürzen brachte und sahen sich vor lauter Kummer und Sorge gezwungen, zu handeln. Und so arrangierten sie eine Heirat mit einem jüngeren Cousin und Sohn des Häuptlings von Tamaing. Olive Yang wiederum fühlte sich von ihren Eltern – obwohl sie einer gemeinsamen Sprache mächtig waren – zutiefst missverstanden.

So kam es auch, dass dieses Ehe-«Glück» nur von kurzer Dauer war. Sobald Olive Yang ein Kind in sich trug, verliess sie ihren Mann, gab ihren Sohn alsbald in die Obhut ihrer Familie und floh aus dem Elfenbeinturm ihrer Kindheit. Damals war sie 23. Sie wusste genau, es waren weder das Leben einer Prinzessin noch das einer fürsorgenden Mutter und Ehefrau, die sie führen wollte. Vielmehr strebte sie nach einer Karriere als Opiumhändlerin und Milizführerin. Bereits im Alter von 25 Jahren waren es die sogenannten Olives Boys, eine Armee von knapp tausend Soldaten aus Kokang, die ihrem Kommando Folge leisten sollten. Mit ihnen kontrollierte und überwachte sie die Opiumkarawanen im anarchistischen Grenzgebiet von Laos, Thailand und Myanmar – auch bekannt als Zomia – die den Rohstoff auf Maultieren und Lastwagen über die Hügel zur thailändischen Grenze brachten. So kam es, dass aus der einstigen Prinzessin eine Drogenbaronin wurde, die Mauern des Elfenbeinturms abgerissen, zertrümmert und dem Fundament eines neuen Turmes weichen mussten. Denn es war diesen Handelsrouten zu verdanken, dass die Region schliesslich zur produktivsten Opiumanbauregion der Welt wurde, die fortan als das Goldene Dreieck bezeichnet werden sollte.

Während ihr Bruder, Sao Edward Yang Kyein Sai Kokang weiterhin den Herrscher-Turm der Familie Yang bewohnte und als Saopha regierte, stieg die Macht von Olive Yang. Nicht nur das, die Drogenbaroin fühlte sich nun auch endlich verstanden. In dieser Zeit schloss Olive Yang ein Bündnis mit der nationalistischen chinesischen Partei Kuomintang, nachdem diese 1949 den Bürgerkrieg gegen Mao’s kommunistische Partei Chinas um die Herrschaft über das chinesische Festland verloren hatten. Die Kuomintang ihrerseits erhielten die Unterstützung von C.I.A.-Truppen, da beide das Interesse hegten, die Ausbreitung des Kommunismus zu Beginn des Kalten Krieges einzudämmen. Und so kam es, dass die von der C.I.A. gelieferten Waffen ihren Weg zu Olive Yang finden sollten.

Dieser Übergang blieb von der burmesischen Regierung aber nicht unbemerkt, woraufhin Olive Yang abgefangen und für fünf Jahre im Gefängnis von Mandalay inhaftiert wurde. Man warf ihr vor, Kuomintang-Soldaten geholfen zu haben, die burmesische Grenze illegal zu überschreiten. Es ist diese erste Verhaftung, die den ersten Stein in Olive Yangs neuem und so solide gebautem Turm lockern sollte. Wieder auf freiem Fuss, übernahm Olive Yang nach der Abdankung ihres Bruders Edward 1959 die Kontrolle über seine ehemalige Armee und stieg zur ungekrönten Königin von Zomia auf. Ihr Turm schoss gen Himmel. Doch das Drogengeschäft ward nicht das einzige, für das sich Olive Yang ihrerzeit begeisterte. Statt sich – wie von ihren Eltern vor deren Tod sehnlichst gewünscht – einen Prinzen zu suchen, unterhielt sie eine Affäre mit der mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Filmschauspielerin Wah Wah Win Shwe. Und obwohl die Beziehung nur eine von vielen war, war sie in aller Munde und Thema der Klatschblätter. Doch auch dieses Glück endete abrupt, als Olive Yang 1963 erneut verhaftet wurde. Denn General Ne Win, seit 1962 Staatsoberhaupt von Burma, war sie ein Dorn im Auge, vor allem ein zu mächtiger. Und so musste Olive Yang eine weitere Gefängnisstrafe absitzen sowie Folterungen ausharren. Dieses Mal jedoch im Insein-Gefängnis von Yangon und zu sechs Jahren. Dieses Mal jedoch mit für den Turm spürbare Folgeschäden.

Denn nach ihrer Freilassung 1968 war sie alles andere als mächtig und reich. Ehemals bekannt für ihre Treffsicherheit, ihre Neigung, zwei belgische Armeepistolen an jeder Hüfte zu tragen und ihren Hang zu zahllosen Affären, dieselbe Olive Yang war nun auf die Unterstützung von Freunden und Familien angewiesen, bei denen sie in der Folge für mehrere Jahre leben sollte. Und es sollte Olive Yang sein, die 1989 vom burmesischen Geheimdienst angeworben wurde, ein Friedensabkommen zwischen den aufständischen Kokang-Rebellentruppen und der burmesischen Regierung auszuhandeln, das bis ins Jahr 2009 andauern sollte. Weitere Jahre vergingen. Schliesslich erkrankte Olive Yang und ward fortan an einen Rollstuhl gebunden. Es heisst, dass sie sich in ihren letzten Jahren entschied, einem Orden beizutreten. Und so kam es, dass aus der einstigen Drogenbaronin eine Nonne wurde. In einer anderen Version erzählt man sich, dass Olive Yang in ihren letzten Jahren darum gebeten haben soll, Onkel Olive genannt zu werden. Wie dem auch sei, verblieb sie fortan in der Obhut ihrer Familie und Milizionäre auf einem Gelände im südlich von Kokang gelegenen Muse. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod am 13. Juli 2017. Der Turm der Königin von Zomia, der einst so weit in den Himmel reichte, ist zur baufälligen Ruine geworden.

Dieses Antimärchen entstand durch die Auseinandersetzung mit der Yang-Dynastie und insbesondere dem Leben von Olive Yang, der Geschichte von Kokang und der Rolle des goldenen Dreiecks für den Opiumhandel sowie der Thematik der Performance «Queen Zomia». In dieser nimmt sich der Künstler Royce Ng entlang der Lebensgeschichte von Olive Yang der Geschichte des globalen Opium-Handels in einer 3-D-Animation an. Der Text folgt zwar in vielen Punkten dem Aufbau eines Märchens und verwendet auch stückweise die dem Märchengenre zugehörige Sprache, Zahlen Fakten und geografische Gegebenheiten entsprechen jedoch weitestgehend der Realität – ganz im Sinne von «basierend auf einer wahren Geschichte».

 

Weiterführende Literatur…

…zur Geschichte der Yang-Familie:

Yang Rettie, Jackie (1997): The House of Yang. Guardians of an Unknown Frontier. Sidney: Bookpress.

 

…zur Geschichte von Kokang:

Kam Mong, Sai (2005): The history and development of the Shan scripts. Kokang and Kachin in the Shan State, 1945-1960.Bangkok: Institute of Asian Studies, Chulalongkorn University.

 

…zur Geschichte des Opiumhandels im goldenen Dreieck:

McCoy, Alfred W. (2016): Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Dorgenhandel. Frankfurt am Main: Westend.

Chin, Ko-Lin (2009): The Golden Triangle. Inside Southeast Asia’s drug trade. Ithaca: Cornell University Press.

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