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Daniela Weinmann

Mini-Reportage: Posieren vor antiken Säulen

Eine junge Frau steht vor einer Tafel, blass inmitten warmer Farben. Ihre rechte Hand ist auf die Legende hinabgesunken, auf die Namen antiker Tempel und Gräber. Der Abend färbt die Felsen des Wadi Musa rosa. Sahar scheint auf die Ruinen zu blicken, die auf der Tafel eingezeichnet sind, doch eine dunkle Sonnenbrille verdeckt ihre Augen.

Meine Begegnung mit Sahar liegt schon ein halbes Jahr zurück. In einer Februarnacht sind wir durch die jordanische Wüste gebrettert, sind regelrecht durch den Raum gestürzt und haben das Autoradio bis zum Anschlag aufgedreht. Neongirlanden zeichneten Kaffeekannen in den pechschwarzen Himmel. «Fuck you, Asad!», johlten wir gegen das Radio an. «Ich will ein feministisches Magazin gründen», erklärte Sahar, damit die weibliche Sicht des arabischen Frühlings nicht vergessen gehe. Im Rückspiegel trafen sich unsere Augen.

Ich stellte mir sie vor, wie sie auf die ersten Demonstrationen in Damaskus ging. Transparente, Euphorie! Heute ist Sahar eine von mehr als 600 000 syrischen Flüchtlingen in Jordanien. Ihr Freund Arif zählt zur Dunkelziffer. Als syrischer Palästinenser erhält er dort kein Asyl.

Wir erreichten Petra um Mitternacht. Ausgelassen kurvten wir immer wieder um dasselbe Minarett herum, oder war es wirklich dasselbe? Bis wir ein Hotel fanden, das günstig genug war. Als Arif seinen Pass auf den Tresen legte, lachten wir nicht mehr, denn wir wussten, dass Arif nicht Abdul heisst und dem Mann auf dem Foto nicht ähnlich sieht.

Am nächsten Morgen brachen wir zum Mosestal auf. Während das moderne Petra wie lose Kartonschachteln auf dem Hügel verstreut liegt, hatten die Nabatäer ihre Monumente direkt in den Felsen gehauen. Wir knipsten. Auf den Informationstafeln lasen wir, dass das Nabatäer-Reich das erste arabische Reich der Geschichte gewesen sei.

Vor zerfallenen Säulen posierten wir: Sahar, die Arif zärtlich anblickt, Arif, der nach Palästina deutet, Sahar, in ein Fladenbrot beissend. Abends brannten unsere Nasenrücken. Wir trotteten zufrieden zum Parkausgang, doch Sahar fiel zurück.

Ich schaute nach ihr; in den Ruinen sah ich eine kleine weisse Figur mit grosser Sonnenbrille. Vor einer Infotafel war sie zum Stehen gekommen, hatte sich ihr Schritt verlangsamt, als sei sie gegen ein Zögern angelaufen. Seit einem halben Jahr muss ich immer wieder an sie denken. Ich sehe sie vor mir: Eine junge Frau steht vor einer Tafel, immerzu. Sie neigt den Kopf, sie scheint zu lesen. Ich glaube, sie weint.

Dieser Text entstand im ersten Reportagenworkshop der Plattform Kulturpublizistik und des Magazins REPORTAGEN. Er wurde publiziert in REPORTAGEN #18. In der Zollfreilager-Rubrik Mini-Reportagen erscheinen regelmässig Texte, die im Reportagenworkshop entstehen und sich im Themenkreis Kultur/Migration bewegen.