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David Korsten

Mini-Reportage: Im Schachcafé

“Mein Turm zermalmt dir gleich die Eier!”, quetscht Zacharias aus zusammengepressten Lippen hervor. Sein osteuropäischer Akzent lässt die Drohung beängstigend glaubhaft klingen. Die zum Zopf zusammengeschnürten Haare scheinen ausbrechen zu wollen, ähnlich dem Springer, der wie entfesselt über die Felder galoppiert, um die schwarze Dame seines Gegners anzugreifen. “Du bist die unwürdigste aller mir bekannten Lebensformen!”, giftet Guido mit den gelben, kleinen Zähnen seines Unterkiefers, während er seinen Läufer quer über die Diagonale jagt und mit einem lauten Knall aufs Brett hämmert. “Schach ist ein Kampfsport”, erzählt mir Zacharias zwischen den Zügen. Es gehe darum, den Gegner zu vernichten. Ihn fertigzumachen. “Die Seele zerstören”, nennt er das.

Acht Uhr abends, mitten in Köln. Schachcafés gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Nur noch hier, im Tag und Nacht Café, spielen sie regelmässig, eine Handvoll Männer um die 60, Randfiguren der Gesellschaft. Discomusik durchwummert den grossen Raum des Lokals. Die Spieler sitzen in der hintersten Ecke und starren auf die 64 schwarzen und weissen Felder, bis die Nachtschwärmer kommen und erst früh morgens wieder gehen. Auf einer Tafel steht: Alle Cocktails 3 Euro 50. Die Schachspieler trinken nicht. Manch einer von ihnen: nicht mehr.

Als Zacharias obdachlos war, habe ihn einmal eine Nonne gefragt, was er brauche. Sex, habe er geantwortet. Zacharias lacht immer wieder zwischen all den Geschichten, die meisten davon schlichtweg Unsinn. Die glaubwürdigste noch diese hier (die kann er mit den Narben an seinem Hals belegen): Als Vierjähriger habe er ein Glas mit Natronlauge getrunken. Die Verätzungen der Speiseröhre haben ihm fünf Jahre Krankenhaus eingebracht. Und seine Liebe zum Schach. Zacharias lacht wieder, diesmal etwas leiser.

Die Turniere, die hier ab und zu stattfinden, gewinnt der ehemalige tschechisch-deutsche Schachmeister Vlastimil Hort. Natürlich. Immer. Stolz sind sie auf ihren Helden, auch die Kellner. “Das ist Kaffeehausschach. Wie früher in Wien, Budapest, Berlin. Weisst du?”, sagt Zacharias. Von dieser Welt träumen sie.

“Schach kann wahnsinnig machen. Wenn ich verliere, lässt mich das tagelang nicht los”, sagt er. Doch heute ist Zacharias der Sieger. Zufrieden steckt er die Holzfiguren in seinen Jutebeutel, schlüpft in seine speckige Lederjacke. “Bis morgen”, ruft er in die Runde und verschwindet in die Nacht. Aus den Lautsprechern dröhnt Rihanna: “We’re beautiful like diamonds in the sky.”

Dieser Text entstand im ersten Reportagenworkshop der Plattform Kulturpublizistik und des Magazins REPORTAGEN. Erstmals erschien er in REPORTAGEN #15.