Mini-Reportage: Blumenmädchen
Irgendwo zwischen Zürich und Winterthur: neben dem Tierkrematorium am Waldrand fünfeinhalb Hektar Blumenmeer, eine Grossgärtnerei. Die Chrysanthemen stehen bis zum Horizont: rote, gelbe, weisse. Abends rauscht das Wasser durch das Kabelsystem. Nur abends, damit die Augustsonne den Chrysanthemen nicht die Blätter ansengt.
Fünf gebückte Rücken im Feld. Flinke Hände zupfen die Plastikkanülen der Bewässerungsanlage aus den Töpfen. «Stink ich wirklich aus dem Mund?» Arjona stützt die Hände ins Hohlkreuz. «Maria sagt, ich stinke aus dem Mund.» Arjonas Goldzahn blitzt auf. Arjona ist 30 und schickt ihren Eltern jeden Monat 200 Franken nach Hause. Sie leben in Tschechien. «Ich war schon beim Zahnarzt», sagt sie. Aber das sei zu teuer. Die Chrysanthemen stehen in Abschnitten, so gross wie ein Fussballfeld. Weit hinten hält Maria fünf Töpfe umarmt und geht zum Etagenwagen. Zwölf Töpfe haben auf einer Etage Platz, 48 auf einem Wagen. Die Migros hat 20 Wagen bestellt. Die Pflanzen müssen üppige Blütenköpfe und einen graden Stiel haben. «Für Landi bleiben die etwas hässlicheren Blumen übrig», sagt Arjona. Im September fährt sie nach Tschechien. Wenn sie keinen Job findet, kommt sie im März hierher zurück.
In der Hauptsaison von März bis Mai nesteln bis zu 30 Angestellte, Frauen zumeist, in den Bodenkulturen, zupfen Unkraut, kleben Etiketten auf Töpfe, tüten Blumen ein. Ein Saisonarbeiter bekommt 18 Franken pro Stunde. Wer schnell ist, bekommt nachträglich zwei Franken mehr. Der Produktionsleiter sieht, wer zwei Blumenwagen auf einmal schieben kann. Und wer besonders schön lächelt. Letztes Jahr bekam Arjona den Bonus, Maria nicht. «Du musst schnell laufen, wenn du in der Haupthalle bist», sagt Maria. Ihre Hände haben Risse, in denen stets ein Rest Blumenerde und Blattgrün sitzt. Arbeitshandschuhe muss jeder selbst kaufen. Maria spart lieber. «Alles, was wir hier nicht ausgeben, können wir im September mit nach Portugal nehmen.» Seit 35 Jahren ist sie mit Alvaro verheiratet. Er setzt die Keimlinge im Gewächshaus um. In Portugal haben sie ein kleines Haus.
In der Pause liegt Arjona auf der Wiese hinter den Kühlräumen. Hier lagern die Chrysanthemen, deren Blütenköpfe sich recken, bevor die Bestellung da ist. Arjona war in Tschechien Hotelfachfrau. «Aber die Menschen dort sind so arrogant.» Am Abend liegen die Chrysanthemen, die sich derart windschief über den Topf beugen, dass kein Grossverteiler sie will, im Kübel. «Ich mag Blumen, auch die hässlichen», sagt Arjona und nimmt sich zwei Töpfe vom Haufen.
Dieser Text entstand im zweiten Reportagenworkshop der Plattform Kulturpublizistik und des Magazins REPORTAGEN. In der Zollfreilager-Rubrik Mini-Reportagen erscheinen regelmässig Texte, die im Reportagenworkshop entstehen und sich im Themenkreis Kultur/Migration bewegen.
Spezialausgabe
Gastspiel im Gastspiel
Stine Wetzel, *1985, lebt und arbeitet als Journalistin in Zürich. Sie studierte von 2011 bis 2013 im Master Kulturpublizistik der ZHdK.