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Fabian Saurer

Mini-Reportage: Beiram in Thun

In der Mitte des Raumes ein Tisch und vier Barhocker, eine Kaffeemaschine und ein Kühlschrank mit Getränken, daneben ein kleines Sparschwein, eine Preisliste gibt es nicht. Auf dem rechten Schaufenster steht FILMERIA. Auf dem linken HAIRCULES, wobei der Buchstabe A in eine geöffnete Schere umgewandelt wurde. Ibrahim schneidet einem jungen Mann die Haare. Im Fernseher an der Wand läuft Buster Keaton.

Mehmet, der für den Rüstungskonzern Ruag arbeitet, kommt zur Tür rein: «Froher Beiram.» – «Beiram?», fragt Lukas. «Eine Art Weihnachten für Muslime», erklärt Yasser in gebrochenem Deutsch. Der Kurde hat keinen Kunden, setzt sich selbst auf den Coiffeurstuhl und schaut sich mit dem iPhone Nachrichten aus Syrien an. Er zeigt mir Videos von kurdischen Aktivisten. Über seine Flucht will er nicht sprechen. Eine Verwandte bringt selbstgemachte Baklavas vorbei. «Bedient euch, froher Beiram.» Lukas’ Kunde, ein Junge mit Akne im Gesicht und einer Baseballmütze der Chicago Bulls, schaut skeptisch auf das Gebäck. «Probier ruhig», sagt Ibrahim. Ein Mann Mitte dreissig betritt das Geschäft, schaut sich um und geht auf Lukas zu. «Haben Sie Full Metal Jacket?» – «Ja.» Lukas kommt hinter der Kasse hervor und zeigt auf ein Regal. «Hier sind alle Kriegsfilme.» Der Mann schaut sich verwirrt um. «Kann man da Haare schneiden? Wunderbar!» Yasser steht auf, nimmt dem Mann den Mantel ab.

Die Spiegel sind so eingerichtet, dass der Kunde während des Haareschneidens in den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand sieht. «Was machen?», fragt Yasser, und der Mann zeigt auf Lukas, auf dessen Frisur: ein schmaler, kahlrasierter Streifen seitlich der Schläfe, daneben Millimeterschnitt und oben längere Haare, zur Seite gegelt. «So was, geht das?» – «Kein Problem.» – «Mir ist schlecht, warum habe ich nur so viele Baklavas gegessen?», sagt jemand. Mehmet sagt zu Yasser etwas auf Kurdisch. Der Mann mit den Kriegsfilmen und dem neuen Haarschnitt will bereits aufstehen, als ihn Yasser sanft zurück in den Stuhl drückt. «Nicht fertig.» Er nimmt eine Klinge aus der Schublade, befeuchtet sie mit einem Spray, WUUUCH, eine Stichflamme aus dem Nichts, neben seinem Kopf. Yasser, Lukas und Ibrahim lachen aus vollem Hals, «nur desinfizieren», sagt Yasser und beginnt zu rasieren. Darinko, der Töfflifahrer, der einmal monatlich von Bern nach Thun fährt, um B-Actionfilme zu kaufen, betritt das Geschäft. «Oh, Baklavas», sagt er und fragt Ibrahim, ob er probieren darf. «Klar Mann, froher Beiram.» – «Beiram?» – «Eine Art Weihnachten für Muslime», erklärt der Junge mit Akne im Gesicht.

Dieser Text entstand im dritten Reportagenworkshop der Plattform Kulturpublizistik und des Magazins REPORTAGEN. Erstmals erschien er in REPORTAGEN #20. In der Zollfreilager-Rubrik Mini-Reportagen erscheinen regelmässig Texte, die im Reportagenworkshop entstehen und sich im Themenkreis Kultur/Migration bewegen.