Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
Eva Vögtli

Mein, dein, kein Wasser

Wir stehen vor dem Gebäude «Süd» des Theater Spektakel Geländes, es ist kurz nach sechs. Da sind kleine Kinder, grössere Kinder, ihre Eltern und Grosseltern. Wir warten gespannt auf Einlass.

Stattdessen ertönt hinter uns das Geräusch einer Trommel – und vor uns tritt ein Mann auf, den sie früher «small giant» nannten, wie er sagt. Er spricht zu uns, fragt uns, weshalb wir hier seien? «Are you here to catch water?» Er freue sich über uns. Und er beginnt zu singen, bis der Grossteil des Publikums miteinstimmt. Singend treten wir ein.

Der Theaterraum ist zweigeteilt durch eine dünne Wand und in der Mitte steht ein grosser schwarzer Tank. Wir setzen uns auf den schwarzen Boden – ein paar ältere Leute bleiben stehen. Der Mann, den sie früher den «kleinen Riesen» nannten, ist der Einzige auf der Bühne. Eigentlich ist er vielmehr einer von uns, denn die Trennung von Bühne und Publikum ist hier weder klar zu sehen noch zu spüren. Das Publikum wird das ganze Stück über eingebunden und wird aktiver Teil der Geschichte. Wir beginnen also auch gemeinsam einen Namen zu rufen, bis eine Frau den Kopf aus dem Tank in der Mitte des Raumes streckt. Der Tank ist leer, erfahren wir. Es gibt kein Wasser. Dafür dürfen wir nacheinander durch ihn hindurch, wie durch ein grosses Portal, auf die andere Seite klettern. Singend. Erst, als wir alle Platz genommen haben auf der Tribüne, wird es einen Moment still.

«Children of Amazi» wird von insgesamt sechs Performer:innen aufgeführt. Sie stammen aus Ruanda, Burundi, Kenia und der Demokratischen Republik Kongo – Länder, die zu der Region der Grossen Seen in Afrika gehören. Amazi bedeutet Wasser, und darum dreht sich hier alles. Wasser als kostbare Ressource, um die gekämpft wird, die zu ausbeuterischen Zwecken missbraucht wird. Aber auch Wasser als ein sagenumwobenes Naturelement und Heilmittel gegen die Dürre. Wenn man an die Geschichte der Region der Grossen Seen denkt, an die politische Lage und an die Ungerechtigkeit der Welt, dann würde man ein düsteres Spiel erwarten mit bedrohlichen Szenen. Doch im Gegenteil: Es wird gelacht, getanzt. Kinder und Erwachsene fühlen sich gleichermassen abgeholt und mitgerissen. So funktioniert das Stück ohne lange Dialoge, aber unter Einsatz verschiedener Sprachen. Es sind mehr die Symbole und die Stimmung, die den Inhalt transportieren.

Auf der rechten Bühnenseite befindet sich ein Dorf. Die Hütten bestehen aus umgedrehten Plastikeimern mit Strohdächern. Die Dorfbewohnenden sind Wasserbecher mit aufgemalten Augen. Auf der linken Bühnenseite befindet sich der Wald, den man an ein paar Zweigen erkennt und daran, dass er als solcher bezeichnet wird. Und dazwischen liegt ein grosser See. Die sechs Darstellenden baden, spielen und trinken rund um das blaue Stofftuch – doch eines Tages trocknet das Wasser aus. Wer ist schuld? Wer hat Amazi, die Wassergöttin, verärgert? Ein Streit bricht aus, die Dorfbewohnenden von beiden Seiten des Sees kämpfen gegeneinander. Einer weiss die Situation für sich zu nutzen, gibt sich als Streitschlichter und verlangt fortan Geld für das Wasser. Was sollen die Dorfbewohnenden tun? Sie machen sich auf die Suche nach der Quelle des Wassers, sie fordern «Justice, Peace, Equality» und weigern sich, ihre Kinder zu verkaufen, als Preis für das Wasser. Dürre herrscht und Hunger, der Wald beginnt zu brennen.

Da kommt wieder das Publikum zum Zuge: Wir werden aufgefordert, ebenfalls unsere Tränen über die Ungerechtigkeit und das Leid beizusteuern, in dem wir sie Richtung Bühne schnipsen. Alle schnipsen. Und plötzlich beginnt es zu regnen und der See füllt sich, Wasser fliesst aus dem Wassertank und es wird geklatscht, wiederum getanzt, gesungen. Kollektiv konnten wir die Krise abwenden. Wir verlassen den Raum fröhlich, stolz und ausgelassen. Die einen betrachten draussen angekommen den Zürichsee vielleicht etwas nachdenklicher als zuvor.

«The Children of Amazi» ist das Ergebnis der Initiative SMALL CITIZENS, einer Koproduktion des Ishyo Arts Centre in Ruanda und des Théâtre du Papyrus in Belgien. Ziel der Initiative ist es, junges Theater in Ostafrika interkulturell neu zu denken und zu realisieren. Das Stück richtet seinen Blick auf das gemeinsame Bewältigen von Tragödien und gleichzeitig auf eine konkrete, anhaltende Notlage in der Region der Afrikanischen Grossen Seen.