Me, Myself and Why
Warum sich Musikerinnen in Badewannen inszenieren
Die Badewanne scheint ein beliebtes Prop in Musikvideos zu sein. Künstlerinnen räkeln sich darin – und finden zu sich selbst. Wasser als Heilmittel gegen Liebeskummer, als Zeichen für Kontrollverlust und als Befreiungsmetapher. Eine Annäherung an dieses popkulturelle Phänomen, das einer binären, heteronormativen Welt, auch wet male fantasy genannt, entspringt.
Der Bildschirm hängt über der Tür zur Toilette und zieht die Blicke der Barbesucher*innen auf sich. Sie hängen an Shakiras stummen Lippen und gleiten über ihren Körper, den sie in ihrem neu erschienenen Musikvideo zu «Copa Vacía» mit Manuel Turizo als Meerjungfrau inszeniert. Kurz erzählt: Er zieht sie mit einem Netz an Land und setzt sie in seinem Wohnzimmer in ein Aquarium. Ihre Finger berühren sich durch das Glas. Mir fällt auf, wie stereotyp Shakira dargestellt wird: mit langen rosa Haaren, die an ihrem Körper kleben, schlängelnder Schwanzflosse und Korallen, die ihre Brüste bedecken. Die Kameraeinstellungen wie Blicke auf ihren Körper. Turizo bleibt eine Nebenrolle und – trocken sowie nass – angezogen. Es geht wie in so vielen Mainstream-Popsongs um Liebe, die nicht funktioniert. Liebe, die unglücklich macht und Verletzungen hinterlässt. In den dazugehörigen Musikvideos wird durch die Narration verdeutlicht oder unterstrichen, wie Songtexte gelesen und welche Gefühle ausgelöst werden sollen. Ich erinnere mich, wie ich mit meinen Freundinnen als Teenager nächtelang MTV schaute, Musikvideo um Musikvideo. Wie wir uns am liebsten die schönen Frauen ansahen, ihren Storys nachfühlten; sein wollten wie sie. «Copa Vacía» hätte uns gefallen. Wir waren das Zielpublikum. Heute bin ich es nicht mehr und Musikvideos sind mit Spotify aus meinem Leben verschwunden.
Tus besos son de agua salada
Bebo y no me calma nada (1)
Bei meinen Recherchen bin ich unter anderem auf den Sozialwissenschaftler Sut Jhally gestossen, der sich seit den 90er-Jahren mit Sexismus in Musikvideos auseinandersetzt. Er vertritt die These, dass das Image von Frauen in Musikvideos und die Reduktion auf ihre Körper eine ungesunde Einstellung zu Rollenbildern sowie zu sexualisierter Gewalt an Frauen fördert. Es fiel mir wie (Meerjungfrau-)Schuppen von den Augen und ich habe mir die Musikvideos aus meiner Jugend wieder angeschaut. Dabei ist mir unter anderem aufgefallen, wie oft Wasser als wiederkehrendes Element eine Rolle spielt.
Als spiegelndes
glitzerndes
reflektierendes Mittel zu dekorativen Zwecken, aber auch als Metapher. Für Gefühle, Kontrollverlust, Reinheit, Wiedergeburt.
Tief und seicht
schmeichelnd
sinnlich
reinigend
durchsichtig
fliessend
sprudelnd
reissend
zerstörerisch.
In diesem Essay möchte ich das Phänomen der videografischen Selbstinszenierung von Künstlerinnen aus dem Musikmainstream in Badewannen etwas genauer untersuchen. Als Requisit kommt das Porzellangefäss unter anderem in «I Should Be So Lucky» (1988) von Kylie Minogue,
«Coloured Kisses» (1991) von Martika,
«Everytime» (2003) von Britney Spears,
«Me, Myself and I» (2003) von Beyoncé,
«Life For Rent» (2003) von Dido,
«Shake It Off» (2005) von Mariah Carey,
«You Know I’m No Good» (2006) von Amy Winehouse,
«Why Don’t You Love Me» (2008) von Beyoncé,
«Bad Romance» (2009), «Marry The Night» und «Yoü And I» (2011) von Lady Gaga,
«Part Of Me» (2012) von Katy Perry,
«Addicted to You» (2012) von Shakira,
«Rocket» (2013) wiederum von Beyoncé,
«Adore You» (2013) von Miley Cyrus,
«Sleep Talking» (2015) von Ravyn Lenae,
«Hands To Myself» (2015) von Selena Gomez,
«Stone Cold» (2015) von Demi Lovato,
«You Should Talk» (2017) von Fletcher,
«Look What You Made Me Do» (2017) von Taylor Swift,
«Blood» (2017) von Archis,
«I Like That» (2018) von Janelle Monáe,
«Without Me» (2020) von Halsey,
«All For You» (2021) von Tori Forsyth,
«Sour» (2021) von Dafna,
«Skin Of My Teeth» (2022) von Demi Lovato oder in Pierce the Veils «Emergency Contact» (2023) vor. «Stay» (2012) von Rihanna und Mikky Ekko ist mir durch die szenografische sowie dramaturgische Reduktion aufgefallen. Es wird keine grosse Geschichte erzählt, inhaltlich stehen die Gefühle und formal Rihannas Körper im Zentrum: Wasser fliesst in eine freistehende Badewanne, sie streift ihre Kleidung ab und gleitet hinein. Der Hintergrund bleibt im Dunkeln, die Wanne weich ausgeleuchtet.
Rihanna singt:
Not really sure how to feel about it
Something in the way you move
Makes me feel like I can’t live without you
It takes me all the way
I want you to stay, (2) und windet sich im milchigen Wasser, krümelt sich zusammen. Die Kamera kommt nahe an sie heran, filmt Wassertropfen auf der Haut; vielleicht auch Tränen, zoomt auf verschiedene Körperteile oberhalb der Wasseroberfläche oder lässt andere durch das Nass erahnen. Wieder ist der Mann, hier Ekko, angezogen. Er sitzt auf dem Rand der leeren Wanne, betrachtet sich selbst im Spiegel. Wie auch bei Shakira entsteht eine (Blick-)Hierarchie: Sie ist nackt, er ist angezogen. Sie ist nass, er ist trocken. Die Blicke richten sich auf sie. Ihr Körper wird zum Fokus, zur Landschaft, die ausgeleuchtet, inszeniert und bis in die kleinste Pore observiert wird. Der stereotype male-gaze, die männliche Lust am Schauen, wird befriedigt und gleichzeitig das Bild der emotionalen und schwachen Frau gestärkt. Kein Wunder, denn im Kontext des Patriarchats erzielen Künstlerinnen mindestens seit dem Aufkommen von Musikvideos in den frühen 80ern die grösste Sichtbarkeit und somit den grössten Profit und Erfolg, wenn sie sich selbst zum eigenen Prob, zur eigenen Dekoration machen. Wenn sie sich heteronormativen Erwartungen unterwerfen und diese Geschichten und Bilder reproduzieren.
Sex sells.
Jhally sagt im Dokumentarfilm «Dreamworlds 3: Desire, Sex and Power in Music Video» (2007), dass Frauen heute so wie vor 40 Jahren von Regisseur*innen und Produzent*innen den Betrachter*innen als Teil einer Fantasiewelt, als eye candy, verkauft würden. Musikalische Fähigkeiten allein reichen nicht, um als Musikerin beachtet und ernst genommen zu werden.
Cool.
Es gibt aber natürlich auch Künstlerinnen, die sich diesem Diktat entziehen. Unter anderem Adele,
Björk,
Billie Eilish oder
Erykah Badu. Mehr fallen mir auf die Schnelle nicht ein und es scheint, dass der grosse Durchbruch und Erfolg von Künstlerinnen im Mainstream tatsächlich oft mit einem «Imagewechsel» passiert, einem «Erwachsenwerden» junger Frauen. Einige dafür berühmte Beispiele:
Britney Spears mit «Oops!…I Did It Again» (2000),
Jessica Simpson mit «Irresistible» (2001),
Christina Aguilera mit «Dirrty» (2002),
Beyoncé mit «Naughty Girl» (2003),
Mariah Carey mit «Shake It Off» (2005),
Rihanna mit «Good Girl Gone Bad» (2007),
Miley Cyrus mit «Can’t be Tamed» (2010),
Selena Gomez mit «Come And Get It» (2013) und
Taylor Swift mit «…Ready For It?» (2017).
Wenn man sich einige solcher Musikvideos nacheinander anschaut, fällt rasch auf, wie stereotyp die generierten Bilder und Geschichten genreunabhängig sind. Die Identität der Frauen ist wahnsinnig eng an ihre Körper und ihre Sexualität geknüpft. Ihre Rollen spiegeln sich dabei auffallend oft in ihren Tätigkeiten:
Tanzen und feiern,
spielerisch Fahrzeuge (Motorräder, Autos, Flugzeuge etc.) waschen,
Schule schwänzen,
Polizistin/Stewardess/Krankenschwester etc. spielen,
entspannen im Bett,
relaxen am Pool,
räkeln im Meer,
sich an- und ausziehen,
duschen,
baden,
warten –
natürlich stets angemessen gekleidet.
Viele dieser Aktivitäten involvieren eine Form von Wasser. Ein Phänomen, das direkt aus der Pornoindustrie zu kommen scheint, aus dem Land der male fantasy. Produziert für ein heteronormatives, männliches Publikum. Aber was macht Wasser abseits der pornografischen Lesart zum scheinbar perfekten Element für Selbstinszenierung und Vermittlung intensiver Emotionen? So wie zum Beispiel Demi Lovato, die in «Stone Cold» (2015) im Wollpullover in der Badewanne singt: Stone cold, stone cold
You see me standing, but I’m dying on the floor
Stone cold, stone cold
Maybe if I don’t cry, I won’t feel anymore. (3)
Wenn wir genauer hinschauen, können in vielen der oben aufgezählten Beispiele auch Geschichten von Befreiung, Widerstand und Wiedergeburt gelesen werden. Das Ein- und Untertauchen in einen Schutzraum. Allein sein mit sich. Ein Reinwaschen von Gefühlen, Entspannung, Stärkung und Neuanfang. Wiederaufatmen. Die Badewanne scheint ein Ort des Nachdenkens und der Reflexion zu sein. Über den eigenen Selbstwert, wie in «Fuckin’ Perfect» (2010) von Pink oder Janelle Monáes «I Like That» (2018) und speziell nach einer zerbrochenen Beziehung:
Me, myself and I
That’s all I got in the end
That’s what I found out
And it ain’t no need to cry
I took a vow that from now on
I’m gon‚ be my own best friend, (4) erkennt Beyoncé im Schaumbad. Und so springt im Januar 2023 auch Miley Cyrus in «Flowers» in den Pool, zieht ihre Bahn, steigt in die Dusche und findet zu sich selbst zurück. Vielleicht hätte sie genauso schnell, in nur 112 Tagen, eine Milliarde Streams auf Spotify bekommen, wenn sie sich im Trockenen und angezogen inszeniert hätte. Vielleicht aber auch nicht.
(1) Shakira ft. Manuel Turizo, «Copa Vacía», 2023. Frei übersetzt aus dem Spanischen:
Deine Küsse sind wie Salzwasser // Ich trinke sie und doch löschen sie meinen Durst nicht
(2) «Stay» (2012), Rihanna ft. Mikky Ekko. Frei übersetzt aus dem Englischen: Nicht sicher, was ich dabei fühlen soll // Etwas, in der Art wie du dich bewegst // Gibt mir das Gefühl, nicht ohne dich leben zu können //Und es wirft mich aus der Bahn // Ich will, dass du bleibst
(3) «Stone Cold» (2015), Demi Lovato. Frei übersetzt aus dem Englischen: Eiskalt, eiskalt // Du siehst mich stehen während ich sterbend auf dem Boden liege // Eiskalt, eiskalt // Vielleicht, wenn ich aufhöre zu weinen, fühle ich nichts mehr
(4) «Me, Myself And I» (2003), Beyoncé. Frei übersetzt aus dem Englischen: Ich, ich und ich // Das ist alles, was ich am Ende habe // Das ist, was ich herausgefunden habe // Und es gibt keinen Grund zu weinen // Ich habe geschworen, dass ich von nun an // Meine eigene beste Freundin sein werde.
Spezialausgabe
nass
Gianna Rovere (*1995) lebt in Zürich und ist Absolventin des Masters Kulturpublizistik an der ZHdK. Sie forscht zum Verbundensein von Elefant*innen und Frauen und arbeitet als freischaffende Autorin, Kuratorin und Kulturjournalistin.