Kultur und Nahbarkeit. Interview mit Axel Langer
Der Persien-Kurator des Museum Rietberg spricht über die Überwindung von Distanz, Emotionalität im Museum und seine Rolle als Geschichten-Erzähler
DANIELA BÄR: Axel Langer, was denken Sie als Persien-Kurator des Museum Rietberg, wenn Sie durch Gastspiel. Schweizer Gegenwartskunst im Museum Rietberg gehen?
AXEL LANGER: Ich finde es interessant, wie uns die zeitgenössischen Künstler mit ihren Werken aufzeigen, wo wir Potenzial haben, unsere Sammlung anders zu präsentieren.
Inwiefern?
Man spürt, dass die Art, wie wir Objekte ausstellen, auf ironische Art hinterfragt wird. Shirana Shabazis Fotografien beispielsweise verleihen den Vitrinen, in denen sie hängen, mehr Spannung. Es wird schwierig sein, ihre Fotografien wieder wegzunehmen und die Vitrinen mit ihren kleinen Figürchen einfach so zu belassen. Ein anderes Beispiel ist der Einkaufswagen, der in der chinesischen Porzellan-Sammlung zu sehen ist: Das wirkt tatsächlich wie in einem Kaufhaus. Da stellen sich die Fragen: Was sollten wir als Museum über die schöne Präsentation hinaus anders machen? Was sind hier unsere Aufgaben?
Museumsdirektor Albert Lutz betont im Interview mit Zollfreilager das Bewahren und würdige Ausstellen der Objekte.
Das ist die klassische Aufgabe des Museums. Und sie wird es in Zukunft auch bleiben. Allerdings steht dahinter eine Geschichte, und zwar diejenige der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts und ihres Bildungsideals. Heute sind wir an einem anderen Punkt. Das Bürgertum gibt es immer noch, aber die heutige Gesellschaft stellt andere Forderungen. Wir müssen das, was sich gesellschaftlich abspielt, aufgreifen. Dabei stellen sich verschiedene Fragen. Welches Publikum soll angesprochen werden, für wen machen wir das Museum? Neue Arten, die Geschichten der Kunst und der dahinter stehenden Kulturen zu erzählen, sprechen vielleicht ein Publikum an, das bisher gar nichts vom Gang ins Museum wissen wollte.
Welche Museumsstrategien können hier als Beispiele genannt werden?
Das Musée du Quai Branly in Paris beispielsweise führt Festivals in verschiedenen Vororten durch und holt so Leute ins Museum, die sozial am Rand stehen. Sie haben bislang einen Bogen um Museen gemacht und sich gefragt, was eine solch „ehrwürdige“ Institution überhaupt mit ihnen zu tun hat. Sie sind neugierig geworden und haben das Quai Branly später tatsächlich besucht. Manuel Valls, der französische Premierminister, hat in einer Fernsehdebatte gesagt: Das, was Frankreich ausmache, was französisch sei, müsse um das erweitert werden, was Migrantinnen und Migranten mitbringen. Das hat mit der Aufgabe eines Museums für aussereuropäische Kunst und Kulturen wie dem Quai Branly viel zu tun, weil dort ihre Geschichten erzählt werden.
Auch Albert Lutz findet, man müsse sich als Museum den Herausforderungen und Bedürfnissen der Gegenwart anpassen. Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie als Kurator des Museum Rietberg?
Wenn Sie ein Kunstwerk im Museum haben, haben Sie bereits eine kritische Masse vor sich. Die Möglichkeiten, im Museum damit umzugehen, sind vielfältiger als das, was man gewöhnlich in der Praxis macht
Wieso nutzt man diese Möglichkeiten nicht?
Das Problem ist vielleicht, dass uns Emotionalität schon im Kunstgeschichtsstudium an der Universität ausgetrieben wurde. Wir wollen ja Wissenschaft machen, da muss man Distanz bewahren. Die Emotionalität wohnt einem Kunstwerk inne und kann auf mich wirken, aber der Wissenschaftler ist aufgerufen, nichts tun, was es noch emotionaler macht. Es ist, als führte ich eine Oper auf, aber konzertant.
SOPHIA COSBY: Diese Emotionalität ist verwandt mit Walter Benjamins Aura-Begriff. Gemäss Benjamin geht der auratische Wert eines Werks bei seiner Ausstellung verloren.
Ich habe den Text während des Studiums auch lesen müssen, und ich habe mich immer schwer getan damit, bis ich ein Kunstwerk in den Händen hielt, das ich zuvor nur als Fotografie gesehen hatte. Da wusste ich, was Aura bedeutet. Nichts hätte dieses Werk, diese Miniatur von der Grösse meiner Hand, diese Vielfalt wiedergeben können. Das war so emotional, dass ich sogar Herzrasen hatte.
DANIELA BÄR: Ist ein so emotionaler Zugang für den Besucher im Museum überhaupt möglich?
Was wir im Museum machen, ist eigentlich sehr künstlich. Wir stellen ein Objekt hinter Glas und beleuchten es.
Dies betrifft die Bewahrung. Wie aber erzeugen Sie die angesprochene Emotionalität?
Ausstellen allein reicht nicht. Sammler erzählen einem zu jedem Objekt etwas. Es gibt eine wunderbare Geschichte von Stefan Zweig (Die unsichtbare Sammlung, 1927), in der ein Blinder seine Sammlung von Stichen erzählend einem Fremden zeigt. Doch dieser sieht keine einzige Grafik, denn die Familie des Blinden hat sie längst aus finanziellen Gründen verkauft. Dieses Erzählen ist die eigentliche Auratisierung. In einem Museum mit existierenden Kunstwerken funktioniert dies noch um vieles besser: Ich „mache“ ein Kunstwerk zu einem Erlebnis, weil ich Ihnen etwas dazu erzähle, es ergibt sich eine Auseinandersetzung. Sie haben das gleiche Werk vor sich, aber andere, neue Bilder entstehen dazu in Ihrem Kopf.
Die Rolle des Kurators ist also die eines Geschichtenerzählers.
Ja. Man kann durch die einzelnen Stationen innerhalb einer Ausstellung den Betrachter dazu bringen, Dinge zu entdecken, sich Fragen zu stellen. Das kann man mit klassischen Mitteln wie Texttafeln, aber auch mit Audioguides machen; die neuen Medien bieten dafür ebenfalls tolle Möglichkeiten. Am besten ist es freilich immer noch, wenn jemand aus Fleisch und Blut die Geschichten gut erzählt. Wie auch immer man vorgeht: Wichtig ist, dass man den Besucher nicht alleine lässt, dass man ihn begeistert, seine kindliche Neugierde weckt.
Gastspiel ist als Ausstellung ein Wiederbelebungs- oder Animationsversuch. Auch die einzelnen Werke haben teilweise einen solchen Ansatz. Eine interessante Frage wäre, wer oder was hier wiederbelebt wird.
Was mich im Gegenzug interessieren würde: Sehen die Leute neben dem zeitgenössischen Werk auch das Umfeld, also die historischen Artefakte, auf die die eingeladenen Künstler reagieren? Gehen sie bei Yves Netzhammer einfach jeder kleinen Installation nach oder sehen sie den Bezug, den er herstellt?
Das Interview mit Axel Langer (Persien-Kurator des Museum Rietberg) wurde von Daniela Bär und Sophia Cosby am 5. August 2014 im Museum Rietberg geführt. Die Zollfreilager-Reihe Der Balken in meinem Auge. Reflexivität als Ressource versammelt Gespräche mit AkteurInnen der Kunst- und Kulturvermittlung.
Spezialausgabe
Gastspiel im Gastspiel
Die Gesprächsreihe «Der Balken in meinem Auge. Reflexivität als Ressource» wurde zwischen 2014 und 2022 von verschiedenen Mitgliedern der Zollfreilager-Redaktion bespielt.