(K)eine geborene Mutter
Ein Wunsch zwischen Glück und Druck.
Ich glaube zu wissen, dass ich einmal Kinder möchte. Oder gelernt habe, sie zu wollen. Immerhin löst es in mir ein Glücksgefühl aus, wenn ich an mein Kind denke. Denke ich hingegen an die gesellschaftlichen Erwartungen, die eine Mutter zu erfüllen hat, spüre ich Druck. Ich fühle mich in der Falle zwischen Glück und Druck, zwischen mir und der Gesellschaft.
Ich habe Freundinnen, die keine Kinder wollen. Während Kinder in mir oft ein warmes Gefühl auslösen, das sich über all meinen Kummer legt, lösen sie in N. Sorgen aus. Sie kann sich nicht vorstellen, ihr Leben einem Kind zu widmen, alles auf den Kopf- und sich hintenanzustellen. Wir verkörpern die beiden Enden des Spektrums «Kinderwunsch». Das zeigt sich auch in unserem Verhalten, wenn wir Kindern begegnen. Für mich sind es Zeitlupenmomente. Meine Aufmerksamkeit gehört dem kleinen Wesen, ich verliere den Moment. N. hingegen spricht unberührt weiter.
N. weiss, was sie nicht will. Oder was sie will: Keine Kinder. Dafür bewundere ich sie. Ich meine, auch zu wissen, was ich will. Aber einordnen, woher mein Wunsch kommt, kann ich nicht.
Ich kriegte mein erstes Baby, bevor ich den Kindergarten besuchte. Ich war Mutter, bevor ich zur Schule ging. Ich umsorgte Babies, bevor ich das erste Mal meine Periode bekam. Ich war schwanger, bevor ich das erste Mal penetrativen Sex hatte. Während ich Mutter für die Puppen-Kinder war, hatte ich selbst noch einen Nuggi. Damit ich lernte, auch ohne Nuggi einzuschlafen, erzählte mir meine Mutter die Geschichte der «Nuggi-Fee». Diese kommt zu Besuch und bringt Geschenke, sobald sie alle Nuggis an dem geschmückten Zweig im Schlafzimmer findet. Nach zwei Wochen mentaler Vorbereitung auf den Abschied entschieden mein Bruder und ich, uns von den Nuggis zu lösen. Und schon am nächsten Tag lagen die glitzernden Geschenke unter besagtem Zweig. In kindlicher Vorfreude riss ich mein Geschenk auf und fand wiederverwendbare Windeln für meine Puppen-Kinder. Mein Bruder enthüllte ein grosses Feuerwehrauto.
N. weiss, wie sie zu Kindern steht. Ihr engster Umkreis auch. Aber viele ihrer Verwandten im fortgeschrittenen Alter glauben, es besser zu wissen als N. und überhäufen sie mit Fragen. Diese klingen für sie wie Vorwürfe. Denn die Erwartungen an eine (junge) Frau sind klar: Bekomme Kinder, wenigstens zwei. Zieh diese auf und überflute sie mit deiner natürlichen Mutterliebe. Finde instinktiv die perfekte Mitte zwischen Laissez-Faire und Helikoptermutter. Und nein, für diesen Fulltime-Job wirst du nicht bezahlt. Du hast ja daneben sicher noch Zeit, Erwerbsarbeit zu leisten. Aber schicke deine Kinder nicht zu oft in die Kita. Wer macht schon Kinder und hat dann keine Zeit für sie?
Kinderkriegenkönnen ist in der binären Gesellschaft ein weibliches Alleinstellungsmerkmal. Frauen haben angeblich den Segen, seit Geburt eine Ladung natürliche Mutterliebe rumzuschleppen. Natürliche Vaterliebe hingegen existiert nicht. Die Ärmsten müssen sich das krampfhaft erarbeiten. Den Rabenvater gibt es nicht, es gibt nur den abwesenden Vater. Um sich aus dem Staub zu machen, gehen Väter in der Populärkultur oft kurz Zigaretten holen. Und dann kommen sie nie wieder. Ihr einziger Auftrag ist die Samensetzung, bewässern – hegen und pflegen – übernimmt dann die von Natur aus fürsorgliche Mutter.
In einem Bauch ein fix fertiges Kind herzustellen, grenzt an ein Wunder. Meine Mutter hat zeitgleich zwei Kinder produziert; Zwillinge, juhu. Und die musste sie ab dem Zeitpunkt, als sie zwei Jahre alt waren, alleine erziehen. Dazu hat sie noch gearbeitet, den Haushalt geschmissen und sich an alle Ärzt*innentermine erinnert. Waren wir in der Schule mal müde, lag die Schuld natürlich bei ihr, nicht beim abwesenden Vater, der noch immer keine Zigaretten gefunden hatte.
In der Schweiz kriegen Frauen durchschnittlich mit 30 Jahren ihr erstes Kind. Dass meine Mutter mit 21 Jahren Kinder kriegte, widersprach der gesellschaftlichen Norm. «War es denn ein Unfall?», wurde sie mindestens genauso häufig gefragt wie ich. Ist es nicht unverschämt, dass mich Menschen ins Gesicht fragen, ob ich unabsichtlich gezeugt wurde. Ich gebe die Frage gerne etwas ausgeschmückt zurück: «Also meinst du, ob meine Eltern vor dem penetrativen Sex vergassen, ein Kondom überzustülpen, oder ob meine Mutter ihre Verantwortung nicht wahrgenommen hat, während den drei bis fünf fruchtbaren Tagen im Monat keinen Sex zu haben? Oder meinst du, ob es ein Unfall war, dass sie überhaupt penetrativ miteinander Sex hatten?»
N. nervt es, dass sie sich rechtfertigen muss, weshalb sie keine Kinder will. «Ich meine, darf nicht ich darüber entscheiden, was mit meinem Körper passiert und wie ich mein Leben gestalten möchte?» Die Fragerei fühlt sich an, als möchte die ganze Welt wissen, weshalb N. nicht mindestens neun Monate auf alles verzichten will, was Spass macht. Warum sie nicht ihren Körper zerreissen lassen will, um dann zu einer stillenden Mutterkuh zu werden. Wenn sich N. wieder einmal mit der Frage rumschlagen muss, ob sie denn keine Kinder will und mit einem klaren Nein antwortet, hört sie Sätze wie: «Sag das doch nicht schon in deinem jungen Alter. Das wird sich schon noch ändern.» Sie fühlt sich dann als Individuum nicht gehört. Bei diesen Äusserungen steht allein ihr weiblich gelesener Körper im Fokus.
Laut der französischen Philosophin und Feministin Élisabeth Badinter basiert die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, weniger auf rationalen und pragmatischen Abwägungen als auf verinnerlichten Normen, Emotionen, familiärem und gesellschaftlichem Druck. Das merke ich bei mir daran, dass ich nicht klar definieren kann, ob mein Kinderwunsch überhaupt meiner ist, oder ein Wunsch der Gesellschaft, in der ich lebe. N. scheint Badinters Annahme zu stützen, indem sie sich anhand von rationalen Abwägungen gegen ein Kind entscheidet.
Ich kriegte mein erstes Baby ohne neunmonatige Schwangerschaft und lernte schnell, wie sich Verantwortung für ein anderes Wesen anfühlt, obwohl meines immer aus Plastik oder Stoff war. Während mir meine Mutter die «Wind & Wetter Crème» ins Gesicht rieb, damit sich die Bise nicht in meine noch zarte Haut biss, machte ich dasselbe bei meinen Puppen. Ich lernte von der Besten und wollte werden wie sie. Eine junge Mama, eine coole Mama.
N. möchte keine Kinder, in einer Welt, in der es mehr Leid als Liebe gibt. Klimakrise, Diskriminierung, Krieg und Grössenwahn – kein Umfeld für ein Kind. Aber auch die inneren Umstände stellen sich dagegen. N. hinterfragt das Konstrukt der natürlichen Mutterliebe. Sie versteht den Hype um die Miniatur-Wesen nicht. Es ist nicht alles süss, was klein ist, meint sie. Weil N. so denkt, wird sie beschuldigt, ihrer Verantwortung gegenüber der nächsten Generation nicht nachzukommen und egoistisch durch ihr Leben zu gehen. Doch N. sieht ihre Verantwortung nicht darin, den gesellschaftlichen Wunsch nach Kinderzeugung zu erfüllen. In ihrem Verständnis kommt sie der Verantwortung für die nächste Generation eher nach, indem sie sich für eine Welt einsetzt, in der es sich zu leben lohnt. Und in diesem Punkt scheiterte die Generation, die N. auf ihre Mutterschaftspflicht hinweist und sie als narzisstisch betitelt.
In meiner utopischen Vorstellung wäre mein Kind alles andere als Arbeit. Es wäre die vollkommene Erfüllung meines Selbst. Es wäre ein durchschlafendes, alles essendes und lachendes Kind, das wenig Arbeit, dafür viel Liebe braucht. Es wäre eines, das nicht vor anderen scheut, das mehrere Bezugspersonen hätte und das in einer gleichgestellten Beziehung aufgezogen wird. Denke ich an meine Kindheit zurück, sehe ich aber ein Kind, das alles tut, was es nicht sollte und mit Autorität hadert. Ein Kind, das nur Bindungen aufbauen kann, wenn es bedingungslose Liebe spürt. Ein Kind, das viel Arbeit und viel Liebe braucht, um vertrauen zu können. In diesen Momenten verspüre ich einen Druck auf meiner Brust. Ich möchte mit meinem teils ungeduldigen oder impulsiven Verhalten nicht das Urvertrauen meiner Kinder verletzen, bin mir aber auch bewusst, dass das nur schwer zu vermeiden ist. So sitze ich also in der Falle meines Kinderwunsches. Im Wissen, dass es mehr als Liebe und mehr als Arbeit sein wird, was mich erwartet.
Lehnt eine Frau ihre Rolle als Mutter ab, wackelt das schlechtgebaute Kartenhaus gewaltig. Auch der Sozialanthropologe Claude Meillassoux hat die Verquickung von Mutterschaft und kapitalistischer Gesellschaft erkannt. Zugespitzt meint er, dass es in modernen Gesellschaften nicht darum geht, Kinder aus Liebe zu bekommen, sondern vor allem darum, mit ihnen die Wirtschaft am Laufen zu halten und das Kapital zu vermehren. Es braucht die neuen Arbeitskräfte, die fleissig in ihre Pensionskasse einzahlen, damit die bereits pensionierten ihre wohlverdiente Rente ausbezahlt bekommen. Wie Meillassoux stelle auch ich mir die Frage, ob es die Frauen mit Kinderwunsch sind, die das System erhalten? Und mir scheint die Antwort ein eindeutiges Ja zu sein. Natürlich widerstrebt es mir, Kinder für den Arbeitsmarkt zu erschaffen. Ich möchte ein Kind aus Liebe. Stelle ich mir aber vor, meine Interessen weiterhin zu verfolgen, eine berufliche Karriere anzustreben und gleichzeitig Mutter zu werden, wird mir schier schlecht. N.s Wunsch, kinderfrei zu leben, scheint mir logischer und freier.
Bei den traditionellen Geschlechterrollen war immerhin etwas geklärt: Frauen sind primär für die Fortpflanzung und die Kindererziehung verantwortlich, Männer für das Geld. Dadurch werden Frauen zwar von ihrem Mann, dem Bread-Winner, finanziell abhängig, aber sie können ihre ganze Energie in die Mutterschaft stecken. In der heutigen Zeit reicht ein Einzeleinkommen oft nicht mehr, um eine ganze Familie zu ernähren und alle Rechnungen zu bezahlen. Diese Veränderung weicht die Strukturen der traditionellen Geschlechterrollen auf. Das Bread-winning verteilt sich neu auf zwei Personen in der traditionellen Kernfamilie: Frau und Mann. Problematisch wird es dann, wenn die Care-Arbeit allein der Mutter überlassen wird. Die Erwerbsarbeit ersetzt die Care-Arbeit nicht, sondern kommt zu ihr hinzu. Es sind die Frauen, die Mütter sind, die mehr leisten müssen. Sie stehen unter grossem Druck zweier Karrieren – Muttersein und Geld verdienen. Eine Doppelbelastung.
Jetzt, noch ohne Kinder, habe ich das Gefühl, mit meinem Freund in einer egalitären Beziehung zu sein. Wir machen unser eigenes Ding, leben in getrennten Haushalten und schenken einander Blumen. Kleinigkeiten, wie das Erinnern an Geburtstage oder alle Termine präsent zu haben, sind unausgesprochen schon jetzt meine Aufgaben. Falls wir eines Tages nicht mehr nur zu zweit sind, werde ich an noch mehr denken müssen. Was über mehrere Jahre gefestigt wurde, wird sich nicht wie durch ein Wunder ändern. Und trotzdem will ich Kinder.
Ich will Kinder, weil ich meine inneren Werte teilen möchte. Ich weiss, dass ich als Frau nicht von gesellschaftlichen Erwartungen befreit werde, sobald ich Mutter bin. Im Gegenteil. Es warten viele neue auf mich. Alle scheinen es besser zu wissen, wie sich eine Mutter mit ihren Kindern zu verhalten hat. Fahre ich während dem Babysitten im öffentlichen Verkehr und mein Hütekind weint, spüre ich genervte Blicke auf mir. Obwohl es nicht mein eigenes Kind ist – was die Menschen um mich herum zwar nicht wissen können – muss ich dauerpräsent und auf das Kind fokussiert sein. Ohne grosse Worte sollte ich wissen, was das Kind braucht und alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu ermöglichen. «Geben Sie ihr doch den Nuggi, oder etwas zu essen», «Nehmen sie sie doch auf den Arm, die braucht Ihre Nähe.» Nicht selten bekomme ich ungefragten Rat. Der öffentliche Verkehr ist nur ein Beispiel. In der Mutter-Welt sind die Erwartungen omnipräsent. Und diese ganze Arbeit sollte mich als Mutter auch noch unglaublich glücklich machen.
Ich fühle mich in Ambivalenzen gefangen, sitze in der Falle – in einer Zwickmühle zwischen eigenem Wunsch und unerreichbaren Erwartungen. Sehe ich die Fingerchen, die winzigen Fingernägelchen, die Grübchen in den speckigen Händen, die wachen Blicke und das zarte Lächeln, schmilzt jede rebellische Ader gegen das System in mir dahin. Schaue ich das kleine, zerbrechliche Wesen an, wird mir warm ums Herz. Es breitet sich die Farbe der Sonne in mir aus. Es sind Sekunden, in denen ich den Anblick dieser Vollkommenheit geniessen kann und alle zukünftigen Erwartungen ausblende.
Spezialausgabe
fallen
Lorena Müller studierte Sozialanthropologie in Bern und möchte nun im Master Kulturpublizistik die unendlichen Facetten der Sprache besser kennenlernen.