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Damian Christinger

Interview mit der Künstlerin Sally Schonfeldt

DAMIAN CHRISTINGER: Du baust gerade den zweiten Teil deiner multimedialen Installation «Tuning into Future Symphonies of Return» auf, die noch bis 30. August im Helmhaus Zürich im Rahmen der Stipendienausstellung der Stadt Zürich zu sehen ist. Die Installation imaginiert ein Museum im Jahr 2043. Wie wird dieses Museum aussehen?

SALLY SCHONFELDT: Dieses Museum könnte ein ethnologisches Museum sein, wie es in fast jeder Stadt in Europa steht. Es hat sich 2043 nicht nur seiner Sammlung entledigt, indem es die Objekte an jene Orte restituiert hat, von wo sie ursprünglich stammten, es hat sich auch seinen Verantwortungen gestellt und ist somit für eine imaginierte Zukunft wieder relevant geworden. Im «First Movement», dem musikalischen ersten Satz dieser spekulativen Symphonie ging es vor allem um das Thema der Provinienzforschung und der Restitution von Sammlungen, im «Second Movement» wird nun das Thema der Heilung und Versöhnung im Zentrum stehen. Eine Gruppe von Künstler*innen, die sich im Zusammenhang der belgischen Black Lives Matter Bewegung 2020 gebildet hat, um gemeinsam die Statuen Leopold II zu stürzen, haben eine Tapete gestaltet, die den Eurofuturismus der Vergangenheit, eine nostalgisch hoffnungsvolle Perspektive, in eine solidarische Zukunft überführen möchte.

Eurofuturismus? Ich kenne den Afrofuturismus, zum Beispiel eines Sun Ra, oder, gerade sehr aktuell, verschiedene indigene Futurismen, die ähnliche Ansätze verfolgen. Eurofuturismus ist mir in den aktuellen Diskussionen um Dekolonisierung noch nie begegnet.

Diesen Futurismen ist die Entschlossenheit gemeinsam, nicht nur eine alternative Zukunftsvision zu einer einseitigen Gegenwart zu entwickeln, sondern auch die Alternativen der Geschichte spekulativ auszuloten. Das Konzept der Rasse zum Beispiel ist ein Konstrukt des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Es entstand im Zusammenhang mit dem Kolonialismus, in jener Zeit also, in der sich auch die ethnologischen Museen manifestieren.

Ich kenne viele der Objekte, die du in deiner Insallation exemplarisch verwendest. Nun ist aber so, dass ja nicht alle Objekte geraubt wurden. Viele wurden auch gehandelt, verkauft und gekauft. Historische Handelsbeziehungen haben unsere Identität mitgeprägt. Wenn wir an die Damen aus Avignon von Picasso denken, an die Avantgarden in Europa generell, die stark von nicht-Europäischer Kunst geprägt worden sind, so könnte ich als Advokatus Diavoli argumentieren, dass eine bestimmte kongolesische Skulptur, mittlerweile genauso zu unserem kulturellen Erbe gehört, wie zu jenem des Kongo. Oder nicht?

Nein. Du sprichst hier von einem Prozess der Aneignung, der in einem Ungleichgewicht stattgefunden hat. Viele Besucher*innen eines Museums haben das Gefühl, dass die Sammlung sozusagen unschuldig ist, dass sie nichts mit der globalen Kolonialgeschichte zu tun hat. Mich, die in Englisch denkt, hat in diesem Zusammenhang immer der deutsche Begriff der «Sammelwut» interessiert. Diese ungeheure Anhäufung der Objekte in einem Museum, die sich ja nicht nur in den Ausstellungsräumen zeigt, sondern sich auch in den Depots vervielfältigt, hat etwas Gewalttätiges. Diese Kammern auszuräumen hätte etwas therapeutisches, einen positiven Effekt für unser Wohlbefinden, ganz abgesehen davon, dass man historisches Unrecht wieder gut machen würde.

Du baust deine Installation wie eine Symphonie auf. Das was man auf Englisch als «first and second movement» bezeichnet, heisst auf deutsch erster und zweiter Satz. Womit wiederum auf einen Zusammenhang zwischen Bewegung und Grammatik hingewiesen werden könnte. Warum die Symphonie?

Das war eine instinktive Entscheidung, die eher mit Dissonanzen und Harmonien zusammenhängt. Ein Orchester ist ein Klangkörper, der nur durch Zusammenarbeit funktioniert.

Die Lichtgestaltung und die verwendeten Materialien verweisen auch auf die Filmsets der Science-Fiction Filme des 20. Jahrhunderts, Solaris oder 2001 Space Odyssey, aber auch auf die Theaterbühnen der Gegenwart. Du hast zusammen mit Vera Ryser ein Projekt für das Theater Basel realisiert, das sich mit den Sarasin Cousins beschäftigt, wie sie im Buch «Tropenliebe» von Bernhard C. Schär dokumentiert werden. Wieso hat euch dieses Projekt interessiert?

Wir konnten im Foyer des Theater Basel eine Ausstellung einrichten, die parallel zum Stück «Wiederauferstehung der Vögel» von Thiemo Strutzenberger, das sich mit demselben Stoff befasst, hätte gezeigt werden sollen. Die Corona-Pandemie hat dem ein Ende gesetzt, was vor allem auch Schade ist, weil wichtige Diskussionen rund um die Kritik an der Ausstellung nicht stattfinden konnten. Die Sarasin Cousins haben nicht nur Basel durch den Zoo oder das Museum der Kulturen geprägt, sondern hinterliessen auch in den Gegenden ihrer tropischen Liebe, auf Sulawesi oder in Sri Lanka, Spuren. Wir haben mit Künstler*innen aus diesen geografischen Destinationen zusammengearbeitet, um dieser einseitigen Erzählung aus Basler Sicht eine multiperspektivische Antwort entgegenzuhalten. Es war uns wichtig, das archivierte Material dieser Expeditionen in neue Zusammenhänge zu stellen. Sie sozusagen neu zum Leben zu erwecken, um aufzuzeigen, wie dieses Material das Denken der Basler Bevölkerung mitgeprägt hat. Und gleichzeitig wollten wir die Sammlungen nutzen, um alternative, multiperspektivische Ansätze durchzuspielen, die einen zukunftsweisenden Umgang mit diesen aufzeigen. Ihnen dadurch etwas positives abringen, indem wir sie mit globalen Realitäten konfrontieren. Das Objektvolumen, das Fritz und Paul Sarasin nach Basel brachten, war riesig. Lebendige, ausgestopfte und präparierte Tiere, Pflanzen, Knochen und Schädel, auch menschliche. Fotografien und archäologische Artefakte, ethnologische Objekte und kartografisches Material, Steine und Mineralien. Die Sammelwut, die ich eben erwähnte, könnte nicht besser illustriert werden.

Du hast die Kritik erwähnt, die euer Projekt auch hervorgerufen hat. Von welcher Seite kam sie und was wurde beanstandet?

Kritik hat vor allem das Projekt von Deneth Piumakshi Wedaarachchige hervorgerufen, also weniger das Projekt an sich, sondern unser Umgang damit. Die Künstlerin hat sich mit Fotografien auseinandergesetzt, die objektivierte, nackte Frauenkörper aus Sri Lanka zeigen. Diese, halbnackt natürlich, tragen Schädel in ihren Händen, die die rassetypischen Merkmale der drawidischen Bevölkerung aufzeigen sollen. Eine doppelte Herabwürdigung, die dadurch noch verstärkt wurde, dass man in Basel diese Fotografien nutzte, um nach ihrem Vorbild Figuren herzustellen, die dann in Diaramen im Museum gezeigt wurden. Das war zur selben Zeit, in der in der Schweiz auch Völkerschauen zu sehen waren, in denen Menschen wie Tiere ausgestellt wurden.
Deneth hat ihren eigenen Körper zum Vorbild genommen, um daraus eine Figur herzustellen, die mit Sätzen beschriftet ist, die verstören. Die Situierung der Figur in einem Foyer, also einem Raum, der vom Publikum durchschritten wird, um zu einer Vorstellung im Theater zu gelangen, einem Durchgangsraum, in dem die Figur nicht jene Aufmerksamkeit bekommen kann, die sie benötigt, wurde kritisiert. Vor allem auch von «Women of Color», zu Recht. Wir konnten nun das Werk im Museum der Kulturen installieren, also an jenem Ort, an dem die kritisierten Vorbilder ursprünglich zu sehen waren. Hier erhält der Körper der Künstlerin jene Aufmerksamkeit, die er verdient, und kann jene Denk- und Reflexionsprozesse in Gang setzen, die notwendig sind. Ähnlich wie mit den Körpern, die sich in den Protesten gegen systemischen Rassismus positionieren, kommt es eben in der Kunst auch auf einen bewussten Umgang mit ihnen an.

Eine andere Arbeit, die im Foyer zu sehen war, hat sich mit den Gedichten des Protestes gegen die Anwesenheit der Europäer auf Sulawesi auseinandergesetzt, die vor allem von Frauen an der Küste rezitiert wurden. Sulawesi ist ein gutes Beispiel dafür, wie komplex die historischen Zusammenhänge sein können. Die Frauen gehörten zur Gruppe der Bugis, die sich als diasporische Seefahrernation verstanden, die über den ganzen Archipel Indonesiens, und darüber hinaus, Handel trieben, und vor allem an den Küsten siedelten. Die Toraja, die im Innern Sulawesis beheimatet waren, empfanden die Bugis bereits als koloniale Siedler und sahen in den Europäern Verbündete im Kampf gegen die Bugis, eine Einstellung, die zum Teil bis heute nachhallt.

Das Archipel ist eine schöne Metapher für die grundsätzliche Komplexität unserer Welt und auch unserer Gegenwart. Wenn wir die Schweiz zum Beispiel nicht als Insel, sondern als Teil eines Archipels verstehen würden, dann wären wir bereits einen wesentlichen Schritt in der Bewältigung unserer Vergangenheit – und der Gestaltung unserer Zukunft – weiter. Die Kunst hat die Möglichkeit über diese Ideen zu spekulieren und zu fabulieren.

Sally Schonfeldt (*1983 in Adelaide, Australien) lebt und arbeitet in Zürich. Die Künstlerin setzt sich in ihren multimedialen Arbeiten mit feministischen Perspektiven auf Macht und Erinnerung, Vergangenheit und Wissensproduktion auseinander. Ausstellungen u.a. in der Tensta Konsthalle Stockholm, Shedhalle Zürich, Aargauer Kunsthaus, Aarau und im Museum der Kulturen Basel.