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Humanistische Fotografie im Museum für Gestaltung

Welche Geschichte der humanistischen Fotografie erzählt das Museum für Gestaltung Zürich?

Auf der MfG-Website unter Über uns / Geschichte wird, obwohl hier immer wieder grosse Fotografen und Werke gezeigt wurden, die Frage nur marginal angesprochen. Archiv-Recherche ist gefragt – das eMuseum, Archivtool des MfG, kann helfen.

„Venezianische Photographie“, 1897 und ein Portraitbild eines Mädchens mit offenen, wilden Haaren, den Kopf auf die Hand gestützt am Tisch sitzend. Es trägt graue Bekleidung und einen weissen Umhang und schaut mit ernster Miene in die Kamera. Das Bild gehört zur ersten Fotografieausstellung, die im Kunstgewerbemuseum, wie das Haus damals hiess, stattgefunden hat. 119 Ergebnisse gibt mir die Expertensuche insgesamt an: 119 Fotografieausstellungen in 118 Jahren.

Obschon es sich bei einigen Suchergebnissen nicht durchwegs um reine Fotografieausstellungen handelt, lässt sich festhalten: Die Fotografie spielt in diesem Museum eine wichtige Rolle. Und, vergleicht man es mit anderen Institutionen der Schweiz: Dieses Museum spielt eine wichtige Rolle für die Fotografie. Als Kunstgewerbemuseum bzw. Museum für Gestaltung konnte man sich der Debatte darum, ob Fotografie als Medium der Kunst zähle, zwar nicht entziehen. Die Frage stand jedoch lange Zeit nicht im Zentrum.

Unter den 119 Ausstellungen mit Fotografie lassen sich 23 ausfindig machen, deren Exponate sich als humanistische Fotografie bezeichnen lassen (vgl. Beitrag Humanistische Fotografie). Sämtliche Ausstellungen fanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt. Die humanistische Fotografie kam zum einen erst in der Nachkriegszeit so richtig auf. Zum anderen vollzog sich in den 1950er Jahren ein Wechsel im Haus, der eine solche Fotografie zumindest begünstigen sollte.

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1952 war so etwas wie die Stunde null. Hans Finsler, Gründer der Fotoklasse an der Kunstgewerbeschule und Meister der Neuen Sachlichkeit, erhielt Besuch aus New York. Edward Steichen und Robert Frank kamen auf einer ihrer Recherchereisen für die Ausstellung „The Family of Man“ nach Zürich. Finsler hatte sorgfältig vorbereitet, was er zeigen wollte: Produkt- und Sachfotografie, wie er sie seinen Schülern vermittelte. „Ich brauche Menschen!“ entgegnete Steichen, der sich kurz umgesehen hatte, knapp, und verschwand wieder. Finsler stand unter Schock und forderte seine Schüler zum ersten Mal auf, hinauszugehen und Menschen zu fotografieren. Bis zum Einzug der humanistischen Fotografie ins Museum für Gestaltung dauerte es allerdings weitere vier Jahre. 1956 wurde mit der Ausstellung „Henri Cartier-Bresson. Fotografien 1933-1955“ erstmals Reportagefotografie gezeigt. Die Ausstellung wurde von einer Publikation begleitet, die neben zahlreichen Bildern einen Aufsatz enthielt, in dem Cartier-Bresson seine Theorie der Reportagefotografie darlegte.

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Die erste Phase der humanistischen Fotografie am Museum für Gestaltung stand ganz im Zeichen der 1947 gegründeten Agentur Magnum Photos. Auf den Magnum-Gründer Cartier-Bresson folgten Einzelausstellungen zu Werner Bischof (1957), Ernst Haas (1960) und Robert Capa (1961). Lediglich bei einer Ausstellung handelte es sich nicht um eine Einzelpräsentation eines Magnumfotografen: 1958 machte Steichens „The Family of Man“, die erfolgreichste Fotoausstellung aller Zeiten, im Kunstgewerbemuseum Station. Der grösste Teil der 505 Exponate stammte von Magnum-Fotografen.

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Das Ereignis „The Family of Man“ hallte noch lange nach und rief Nachahmungstäter auf den Plan. Zunächst organisierte Kunstgewerbemuseum 1963 jedoch eine Doppelausstellung unter dem Titel „Pioniere der Fotografie – Edward Steichen, Charles Nègre“. 1964 folgte schliesslich die europäische Reaktion auf „The Family of Man“. Unter der Federführung von Karl Pawek, einem österreichischen Staatsbürger mit düsterer Vergangenheit, der Redaktor bei verschiedenen Fotomagazinen war, organisierte eine Gruppe von über zwei Dutzend Europäischen Museen die „Erste Weltausstellung der Photographie“. Anzahl und Auswahl der Bilder, auch das Thema „Der Mensch“ kamen dem Vorbild verdächtig nahe. Im Unterschied zu „The Family of Man“ waren die Bilder aber anonym ausgestellt. Das Publikum durfte seinen Favoriten wählen.

Der neue Ausstellungstyp schien zu überzeugen. Die „Weltausstellung der Photographie“ wurde in den folgenden Jahren noch drei weitere Male durchgeführt. Jedes Mal stand der Mensch thematisch im Zentrum – 1969 lautete der Titel „Die Frau“, 1973 „Unterwegs zum Paradies“ und 1977 „Kinder dieser Welt“. Das Kunstgewerbemuseum war jedes Mal Station der Ausstellung. Neben den Weltausstellungen organisierte das Museum 1967, in Zusammenarbeit mit dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich, die erste Einzelausstellung von Gotthard Schuh, die allerdings im Helmhaus stattfand. Das Motiv für das Ausstellungplakat war interessanterweise identisch mit demjenigen von „The Family of Man“ – Schuh war einer der wenigen Schweizer, die in Steichens Jahrhundertausstellung vertreten waren.

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Die Zweite Phase der humanistischen Fotografie im Kunstgewerbemuseum stand ganz im Zeichen der grossen Gruppenausstellungen. 1977 – im gleichen Jahr wie die letzte „Weltausstellung der Photographie“ – fand jedoch auch eine grosse Einzelausstellung statt: „August Sander – Menschen ohne Masken. Fotografien 1906-1952“. Zu sehen waren viele von Sanders berühmten typologisierenden Porträts aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Belgeitend zur Ausstellung erschien ein Nachdruck des Fotobandes „Antlitz der Zeit“, der 1927, also 50 Jahre zuvor erstmals erschienen war.

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1985 zeigte das Kunstgewerbemuseum die erste von vier länderthematischen Ausstellungen. Unter dem Titel „Nichts wird uns trennen – Südafrikanische Fotografen und Dichter“ zeigte es eine Kombination von Bildern mit Poesie, die die Ungerechtigkeiten des Apartheid-Regimes Südafrikas thematisierten und an den Pranger stellten. Die Ausstellung war ein politisches Statement. 1995 zeigte das Museum für Gestaltung, wie sich das Haus inzwischen nannte, schockierende Porträtbilder aus einem Konzentrationslager der Roten Khmer in Kambodscha, und 1996 folgte eine kleinere Ausstellung im Vestibül mit Bildern aus dem Laienfotografenprojekt TAFOS, das von zwei Schweizern in Peru aufgebaut wurde. „Im Herzen Algeriens. Das Jahrzehnt des Terrorismus“ lautete der Titel einer Ausstellung 2002 mit Bildern des Berner Fotografen Michael von Graffenried und Aufnahmen des algerischen Filmemachers Mohemmed Soudani. Mit ihr endete die dritte Phase, mit nur gerade vier Ausstellungen in fast 30 Jahren.

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2005 kehrte Magnum mit seinen grossen Namen ins Museum für Gestaltung zurück. Christian Brändle, seit 2003 Kurator und Direktor des Museum für Gestaltung, kuratierte in den letzten 10 Jahren zwei Ausstellungen zu René Burri (2005 und 2013) sowie die zweite Ausstellung, die sich ausschliesslich dem Werk von Henri Cartier-Bresson (2011) widmete. Die aktuelle Ausstellung „Steve McCurry – Fotografien aus dem Orient“ ist die vierte von Brändle kuratierte Ausstellung dieser Art. Das Museum für Gestaltung kehrt jedoch nicht einfach zur ersten Phase zurück. Neben Burri, Cartier-Bresson und McCurry zeigte man 2013 auch die grosse Einzelausstellung „Souvenir“ mit Fotografien von Martin Parr, dem „Sonderling“, der nicht so recht ins Schema von Magnum passen will, und für dessen Fotografie die Bezeichnung „humanistisch“ höchstens im weiteren Sinn zutrifft. 2013 fand zudem eine kleinere Ausstellung im Vestibül statt, welche die Geschichte über das Kunstgewerbemuseum und die Fotoklasse erzählte. „Bilder im Aufbruch – Die Fotoklasse unter Walter Binder“ erzählte davon wie sich die Fotoklasse nach der Finsler-Ära veränderte und damit auch das Kunstgewerbemuseum. Fazit: Die Geschichte wird doch erzählt – wenn auch nur im Flur.