Hochsitz-Folge 8:
Festliche Gewalt
Die erste Hochsitz-Folge der diesjährigen Spezialausgabe handelt vom Feiern und von Gewalt. Als Beobachterin von «La Balsada» des kolumbianischen Theaterkollektivs Mapa Teatro reagiert Noëmi Roos mit Zeichnungen auf dieses Spannungsverhältnis.
«La Balsada», das Floss, heisst das Stück von Mapa Teatro, das Noëmi Roos in skizzenhaften Impressionen festgehalten hat. Die Tradition will es so, dass in Guapi, Kolumbien, Männer jeweils zum Jahresende in Frauenkleidern und Masken auf die Strasse gehen und unmaskierte Passant:innen mit Peitschen verfolgen. Während dieses Festes verschwimmen die Grenzen zwischen Feier und Gewalt, die Individuen lösen sich auf in einer maskierten Gesichtslosigkeit. Während den längeren Musikpassagen erinnerte sich die Autorin an eine eigene Reise durch Kolumbien: Im San Antonio Park, in Medellín steht eine Vogelstatue des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero. Ein riesiges Loch klafft dort, wo ihr Bauch war. Ausfransende Ränder bilden einen offenen Rahmen und durch den offenen Körper hindurch sieht man grüne Bäume. Pajaro herido, verwundeter Vogel, heisst die Statue. Eine Bombe zerriss dem Vogel im Jahr 1995 den Leib, 23 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Bombenanschlag fand während einem Openair statt, die Stadt und der Künstler beschlossen, den Vogel nicht zu reparieren. So wie auch vieles andere nicht zu reparieren war, in Medellín, in Kolumbien und der Welt. Auf die Nachfrage, ob Feste im San Antonio Park gefeiert würde, antwortete ihr kolumbianischer Freund: «Wenn wir nicht wegen den Toten feiern würden, hätte seit Jahrzehnten kein Fest in Kolumbien stattgefunden. Wir feiern für sie, mit ihnen, wegen ihnen.»
Spezialausgabe
Figuren des Figurierens
Noëmi Roos (*1995) studiert im Master Kulturpublizistik. Nach einem Studium in Geschichte und Literatur widmete sie sich dem journalistischen und freien Schreiben. Ihre Interessen liegen in der Literatur, gesellschaftlichen Fragen und der Popkultur.