Hochsitz-Folge 7:
Nochmal, nochmal, noch einmal
In der Schlussbeobachtung des Hochsitzes hat Franz Beidler das Wiederholen der Normalität observiert. Er trotzte der Gefahr der Abnutzung seiner Aufmerksamkeit durch alltägliche Bewegungen und Abläufe und hielt seine Konzentration schreibend aufrecht.
Ich sitze auf einem Hochsitz, noch nie sass ich auf einem Hochsitz. Vor mir liegt die Landiwiese, grün und leer. Im Pavillon dahinter finden Vorbereitungen für ein Konzert statt. Das Seeufer des Zürichsees auf der linken und der viel befahrene Mythenquai auf der rechten Seite rahmen mein Blickfeld. Es regnet schon den ganzen Tag.
Im Pavillon findet der Soundcheck für das Konzert statt. Trommelschläge hallen über die Landiwiese, immer wieder. Die Einstellung sitzt noch nicht. Schlag noch mal drauf. So, wie du dann würdest, am Konzert. Würdest Du? Der Gitarrist übt eine Stelle, immer wieder. Er kann die Noten noch nicht im Tempo spielen. Wiederholen ist üben. Solange bis es geht. Vor dem Pavillon parkt ein Lieferwagen. An der Stossstange blinkt ein Licht. Eine Warnung in Orange, denn die Hecktüre ist offen. Ein Jogger läuft durch den Regen, Schritt für Schritt. Einen Regenschutz hat er nicht. Ein Dude mit Plastiksack geht vorbei, ein anderer mit Regenschirm. Dann folgt ein Fahrrad, auf dessen Sattel eine gelbe Pellerine sitzt. Das Rücklicht blinkt rot. Ein Schiff passiert die Landiwiese. Die Fahne am Heck hat sich um den Mast gewickelt. Nichts Neues auf dem See. Ein Mann mit Regenschutz trottet, aber zügig. Die Hände hat er in den Hosentaschen vergraben, den Kopf nach vorne geneigt. Am Seeufer versammeln sich Enten. Sie putzen sich und quaken. Sie schnabeln im Gras herum. Ein Schwan schwimmt am Ufer vorbei. Menschen mit Regenschirmen gehen der Landiwiese entlang. Fluglärm dröhnt vom Himmel. Ein Bus hält. Menschen steigen aus und ein. Der Bus fährt weg. Ich wiederhole mich.
Wer bin ich, wenn ich ein Logbuch führe über Wiederkehrendes? Wenn ich also alles aufschreibe, was sich wiederholt, dann beschreibe ich einen Ort in seiner momentanen Ewigkeit. Was an einem Ort geschieht, immer wieder, fühlt sich plötzlich an, als würde es zum Ort gehören, als müsste das so sein. Dabei ist ein Ort doch nur ein Ort. Kann ein Ort passieren? Kann eine Bühne geschehen? Wie die Stille der Musik, ist die Wiederholung dem Geschehen eine Leinwand.
Im Pavillon Pavillon findet der Soundcheck statt. Trommelschläge Trommelschläge hallen. Der Gitarrist übt eine Stelle Stelle. Er kann die Noten Noten noch nicht im Tempo Tempo. An der Stossstange Stossstange vom Liefer Lieferwagen blinkt ein Licht Licht. Ein Jogger Jogger ohne Regenschutz, nur mit Baseballmütze Mütze. Zwei Dudes Dudes ohne Regenjacken. Red Bull und Coca Cola. Dann folgt ein Fahrrad Fahrrad. Ein Schiff Schiff passiert die Landiwiese. Nichts neues auf dem See. Ein Mann Mann geht vorbei, geht vorbei, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf geneigt. Enten Enten putzen sich und quaken quaken. Ein Schwan Schwan schwimmt. Spaziergänger Gänger mit Regenschirmen Schirmen gehen der Landiwiese Wiese entlang. Flug Flug Lärm Lärm dröhnt vom Himmel Himmel. Ein Bus Bus hält hält und fährt weg weg. Ich wiederhole mich. Ich wiederhole mich.
Was sich wiederholt, ist das, was das ist, das sich wiederholt. Das Einmalige hat einen unfairen Vorteil in einer Aufmerksamkeitswirtschaft. Herauszustechen liegt in seiner Natur. Dabei ist das, was sich wiederholt, doch viel wertvoller. Wie wünschenswert ist etwas, das nur einzigartig ist, weil es einmalig ist? Und doch: Wer eine Wiederholung bemerkt, war nur bereit, bis zur Unschärfe zu verallgemeinern.
Trommelschläge Schläge Schläge hallen hallen hallen. Schlag nochmal nochmal nochmal drauf. Die Noten Noten Noten. Ein Licht Licht Licht blinkt blinkt blinkt am Liefer Liefer Lieferwagen. Der Jogger Jogger Jogger trabt durch den Regen Regen Regen. Zwei zwei zwei Coca Coca Coca Cola, dann das Fahrrad Fahrrad Fahrrad. Das Schiff Schiff Schiff mit Mast Mast Mast und Fahne Fahne Fahne drum, nichts Neues auf dem See. Der Mann Mann Mann im Regenschutz. Den Kopf Kopf Kopf geneigt. Am Seeufer Ufer Ufer schnabeln die Enten Enten Enten im Gras Gras Gras. Der Schwan Schwan Schwan. Spazier Spazier Spaziergänger mit schwarzen schwarzen schwarzen Regen Regen Regenschirmen. Flugzeugrauschen Flugzeugrauschen Flugzeugrauschen. Der Bus Bus Bus hält und Menschen Menschen Menschen steigen aus aus aus und ein ein ein. Ich wiederhole mich. Ich wiederhole mich. Ich wiederhole mich.
Ich sah mal einen Film, in dem die Hauptfigur in einer Zeitschlaufe gefangen ist. Ein Mord passiert immer wieder: Das gleiche Opfer am gleichen Ort. Dort häuft sich die immergleiche Leiche, häufen sich die immergleichen Leichen. Wann ist etwas zu Ende, damit es wieder von neuem beginnen kann? Und wie heisst die Zeit von Ende bis Anfang?
Noch mal hier zu sein, das wärs. Nochmal, nochmal, noch einmal. Schon wieder, schon wieder, schon wieder. Komme ich nächstes Mal auch wieder? Nächstes Jahr? In einem Jahr? Es ist jedes Jahr. Jedes Mal. Immer wieder. Nächstes Jahr machen wir das wieder. Super. Wenn Du nächstes Jahr wiederkommst, werden wir schon da sein. Wir waren schon immer trotzdem da.
Spezialausgabe
Trading Identities
Franz Beidler (*1984) studierte bis 2020 Kulturpublizistik an der Zürcher Hochschule der Künste. Davor studierte er Jazzkomposition an der Hochschule der Künste Bern. Daneben studiert er in Echtzeit am Leben und berichtet gelegentlich davon, mal in Klängen, momentan aber meist in Worten, nämlich im Stadtanzeiger Olten, wo er als Redakteur arbeitet.