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H wie Hannah Höch

Die Collagen von Hannah Höch gehören ohne Zweifel zu den wichtigsten Manifestationen einer Ästhetik, die formal als genuin dadaistisch bezeichnet werden kann. Der literarische Dadaismus tastet sich Nonsense-Grenzen entlang, die vornehmlich als performative Akte ihre Wirkung entfalten und nur begrenzt zu einer originellen Formgebung führen. Die dadaistischen Lautgedichte von Ball und Tzara beschwören die Fragmentierung aller Sinnzusammenhänge in einer europäischen Zivilisation, die den Vernichtungskräften des ersten Weltkrieges anheimgefallen ist, und vollziehen den Bruch mit einer Kulturtradition, deren Kontinuität für immer abgebrochen scheint. Sie bleiben jedoch weitgehend amorph – von irreduzibler Beliebigkeit, nicht anschlussfähig, nicht in der Lage, eine neue Formensprache zu begründen. Ball hat nach Anfängen als expressionistischer Dramatiker die dadaistische Poesie rasch hinter sich gelassen, um Traktate über Mystik und Theologie zu schreiben. Tzara sollte nach seinen Zürcher Lautperformances 1931 mit «L’homme approximatif» sein grösstes lyrisches Werk schaffen. Es ist jedoch ein lupenreines Exempel surrealistischer Poesie.

Auf seine Weise verarbeitet der Dadaismus das Paradoxon, das Nietzsche in der «Geburt der Tragödie» wohl zum ersten Mal als die fundamentale Herausforderung für die ästhetische  Avantgarde auf den Begriff gebracht hat. Zum einen ist die Welt «nur als ästhetisches Phänomen» gerechtfertigt. Die Kunst trägt die Last ihres totalen Anspruchs. Zum anderen ist die metaphysische Essenz des künstlerischen Werks im Grund das Undarstellbare. Hierin liegt die grundlegendste Entgegensetzung zwischen dem Dionysischen und dem Apollonischen: Das Apollonische ist das Prinzip des Darstellbaren, der Gestalt, des Plastischen, der Repräsentation. Das Dionysische ist das Prinzip des Chaos, des Wahns, des Amorphen. Des Heiligen, das ist, aber nicht repräsentiert werden kann.

Noch in Georges Batailles obsessiver Beschwörung des «Unmöglichen» als Kern der Möglichkeit von menschlicher Existenz setzt das Nietzschesche Paradox sich fort. Im Dadaismus (angeführt durch den Nietzscheaner Hugo Ball) manifestiert es sich in der Neugründung des Sinns durch den Nonsense.

Als Inspirationsquelle, Projektionsfläche oder auch einfach Metapher für dieses Jenseits der Repräsentatierbarkeit war primitive Kunst, nach damaligem Sprachgebrauch «Negerkunst» von entscheidender Bedeutung. Sie bot einen Anknüpfungspunkt jenseits der abendländischen Kulturtradition, einen archaischen, ahistorischen Referenz-Rahmen und einen ästhetischen Bezugspunkt. An einem «Expressionistenabend» in Berlin im Jahr 1916 hat Richard Huelsenbeck – dem es nicht um Expressionismus sondern um die Überwindung des Expressionismus zu tun war – ein «Negergedicht» vorgetragen. «Ich las selbstverfertigte Negergedichte, umba-umba-umba, die Neger tanzen auf den Bastmatratzen, obwohl mich die Neger einen Dreck angehen und ich sie wirklich nur aus Büchern kenne,» schreibt Huelsenbeck in En avant Dada. Dieselben Negergedichte sollte er nur wenig später im Zürcher Cabaret Voltaire zum Besten geben.

In der bildenden Kunst geht die Assimilierung afrikanischer Einflüsse jedoch über das performative Spektakel der umba-umba-Rufe hinaus. Vornehmlich gilt dies natürlich für den Kubismus, zu dessen wichtigsten Theoretikern Carl Einstein gehörte – Einstein, der auch ein Kenner primitiver Kunst war und eine komplexe formale Analyse der afrikanischen Kunst in seinem klassischen Essay «Negerplastik» entwickelte. Für Einstein konvergieren die Ästhetik des Kubismus und der afrikanischen Kunst weitgehend, insbesondere durch ihre Distanz zur Zentralperspektive und ihre Raumauffassung. Einstein theoretisiert die moderne Avantgarde, nicht nur in polemischer Absicht, sondern auch in formaler Hinsicht, tatsächlich als Negerkunst. Elemente einer solchen Assimilierung lassen sich auch in den Collagen von Hannah Höch feststellen.

In der Ausstellung Dada-Afrika, die im Museum Rietberg zu sehen ist, bilden die gezeigten Collagen von Höch die vielleicht stärksten Beiträge. Es werden auf allen Collagen die typischen Höch-Themen verhandelt: eine Reflexion auf weibliche Gender-Identität im Spiegel und Zerrbild massenmedialer Repräsentationen von Weiblichkeit. Die aus Modezeitschriften ausgeschnittenen Collage-Komponenten werden arrangiert mit Bildern von Objekten primitiver Kunst, die Höch aus populärwissenschaftlichen Revuen ausschnitt. Man findet diese Kombination – Modefotos und «Negerplastik» – sehr häufig in Höchs Collagen, wie Denise Toussaint in «Dem kolonialen Blick begegnen: Identität, Alterität und Postkolonialität in den Photomontagen von Hannah Höch» ausführlich belegt. Höch versucht in der Brechung primitiver Kunst – archaischer Gottesstatuen oder afrikanischer Masken – die massenkulturelle Formatierung von weiblichen Rollenbildern zu brechen und zugleich die zeitlose Macht sexueller Identitätsfestlegungen zur Darstellung zu bringen. Es entsteht ein ganz eigentümlicher ästhetischer Effekt: weit entfernt vom Raumgefühl der «Negerplastik» – Höchs Collagen sind ausgesprochen zweidimensional -, aber von subtiler, spannungsreicher Homogenität des Disparaten. Die Fusion verschiedener Repräsentationsmodi von Weiblichkeit – archaischer und massenmedialer – eröffnet neue Räume moderner Identität.