Grenzen überschreiten
Ein persönlicher Bericht zu einer Performance
Als Ergänzung zur Ausstellung „Dada Afrika“ fand am am 19. Juni 2016 vor der Remise im Museum Rietberg eine Performance mit dem Titel „Argumenta Dialogorum“ (What did I buy from you?) von und mit Jelili Atiku (*1968, Nigeria) statt. Der nigerianische Künstler, der Anfang des Jahres den renommierten Prince Clause Award für zeitgenössische Kunst erhielt, trotzte dem schlechten Wetter und vermochte die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Nachdem er einen schwarzen Anzug angezogen und eine pferdekopfartige Maske aufgesetzt hatte, fesselte er sich mit einem Klebeband, in das er spitze Stöcke und Kerzen steckte. Mit selbst gestalteten Zetteln forderte Jelili Atiku die Besucher auf, die Kerzen auf dem Boden und an seinem Körper anzuzünden.
Die Performance rief beim Publikum starke Reaktionen hervor. Wir Kuratorinnen der fühlten uns an die pseudo-afrikanischen Dada-Abende erinnert, an denen die Dada-Künstler das Publikum provozierten, zugleich aber die eigenen körperlichen Grenzen ausloten wollten. Auch Jelili Atiku gelang es, mit seiner Aktion darauf ab eine emotionale Spannung zwischen seinem eigenen Unbehagen und dem des Publikums aufzubauen. Die Anwesenden mussten mit ansehen, wie er in der Maske kaum Luft bekam, die Kerzen sich in seinen Körper einbrannten und er gegen die immer strafferen Fesseln kämpfte, bis bei einigen Zuschauern das beklemmende Gefühl im Handeln mündete: manche verliessen die Performance, andere schritten ein und befreiten den Künstler aus seiner gepeinigten Lage.
Im Gespräch mit verschiedenen Zuschauern zeigte sich dann die Bandbreite der möglichen Lesarten. Für Valerian Maly, den künstlerischen Leiter des BONE Performance Art Festival Bern war diese Performance im Wortsinne grenzwertig und somit auf durchaus aktuelle Weise grenzüberschreitend, ganz im Sinne von Dada. In Jelili Atikus „dialogischem Argument“ gehe es um eine prekäre Raum-Zeit-Körper-Situation, die nur in der Interkation zwischen Künstler und Publikum – vom harmlosen Kerzenanzünden bis hin zur Intervention, den Künstler aus dem schwarz-gelben Klebeband zu befreien, das auch für die polizeiliche Spurensicherung benutzt wird – eine Auflösung findet.
Ein Ethnologe interpretierte die Performance als neokoloniale Kritik angefangen von der Unterjochung Afrikas unter koloniale Herrschaft bis zum Kampf um die Unabhängigkeit – der missglückte Versuch des Künstlers, sich selbst zu befreien, war für ihn ein Symbol der bis heute andauernden Abhängigkeit Afrikas von Aussen. Ein Museumsdirektor assoziierte die Fesseln mit dem Joch der Sklaverei. Eine Performance-Künstlerin, die viel in Nigeria arbeitet, sah das für die Yoruba-Kultur wichtige Zusammenwirken der Gottheit Shango für Feuer (in Form der Kerzen) und der Wasser-Gottheit Olokun (in Form des Regens). Eine China-Kennerin wiederum faszinierte die Verwandlung vom Mensch ins Tier hin zu einer Art Geistwesen, das gelb-schwarze Klebeband assoziierte sie mit dem Tiger. Am unmittelbarsten war die Reaktion eines Kindes, das zur Mutter sagte: „Mami, ich wusste gar nicht, dass Pferde in der Nase bohren“. Die Transformation vom Mensch zum Tier war so vollzogen.
Im Interview erklärte Jelili Atiku, warum er seine Performance nach einem Yoruba-Sprichwort auf Englisch „What did I buy from you?“ nannte. Gemeint ist damit die heikle Frage: „Was habe ich dir angetan, dass du mich so schlecht behandelst?“ Im Sinne einer postkolonialen Kritik thematisierte Jelili Atiku in seiner Performance die negativen Auswirkungen von Kolonialismus und Kapitalismus, von ihm mit „Dunkelheit“, Schmerz und Zerstörung assoziiert. Um zugleich aber an die Menschlichkeit von uns allen zu appellieren, sollten die Besucher mit den Kerzen „Licht ins Dunkel“ bringen. Dezidiert wollte er damit auch auf die aktuellen Flüchtlingsströme verweisen, die für ihn ein Produkt der westlichen Politik sind. Er bemängelt, dass auch hier nicht der Mensch im Fokus steht, und dass im Westen die wirklichen Gründe der Migration ausgeblendet werden. Damit kann seine Performance als ein Appell gedeutet werden, vom passiven Beobachter des Weltgeschehens zum politischen Akteur der eigenen Geschichte in einer globalisierten Welt zu werden.
Die Performance fand am 19. Juni 2016 um 15 Uhr im Rahmen der Ausstellung „Dada Afrika“ im Museum Rietberg Zürich statt und war eine Kooperation mit dem BONE-Performance-Festival in Bern.
Das ausführliche Interview (Teil I und II) mit Jelili Atiku sowie die Highlights seiner Performance finden sich unter
Spezialausgabe
Dada Afrika
Michaela Oberhofer, *1970, ist Kuratorin des Museum Rietberg für Afrika und Ozeanien und Ko-Kuratorin der Ausstellung Dada Afrika.