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Daniela Bär

G wie Grenzgötter

Die Decknamen der militärischen Operationen, mit denen im Zweiten Weltkrieg Alliierte gegen Achsenmächte um den europäischen Kontinent kämpften, sind auch heute noch sprechend. Eisbär und Leopard landeten auf Griechenland, Alpenveilchen blieb ein Plan, Steinbock kam aus der Luft, Silberfuchs teilte sich im Laufe des Aufmarsches auf in Polarfuchs und Platinfuchs. Neben der Biologie bieten die griechische Mythologie und ihr Personal aus Göttern, Halbgöttern und Helden einen beliebten Fundus für Namen: Herkules, Merkur, Theseus stehen für Eigen- und Errungenschaften, die einer Operation als Attribute mottospendend beistehen sollen.

Ebenfalls der griechischen Mythologie bedient sich die Frontex. Deren Operations-Namen verweisen dabei primär auf Einsatzgebiete: Hera steht für die westafrikanische Küste, Poseidon waltet auf dem östlichen Mittelmeer und Hermes kommt vor der Küste Siziliens zum Einsatz. Diese Küste beschreiben die Architekten Pietro Pagliaro und Giacomo Cantoni in ihrem Research-Projekt Post-Frontier als eine der wichtigsten Aussengrenzen Europas. Mit ihrem an der Architektur-Biennale Venedig 2014 gezeigten Projekt nähern sie sich der Frage, wie Grenzen wahrgenommen werden, und stellen drei Perspektiven – die institutionelle Sicht von Frontex, den Blick von Fotojournalisten und ihren eigenen Beitrag in Modellform – einander gegenüber. Das Modell vereint zusammengetragene „frontier-related places“: Grenzerfahrungsorte rund ums Mittelmeer, ein Ensemble verschiedener Realitäten, allesamt Zeugen oder Zeichen der Tatsache, dass es stets ein Innen und ein Aussen gibt. Der Frontex-Turm aus Warschau ragt hier neben dem Verwaltungsbezirk der sizilianischen Stadt Trapani empor, der bulgarisch-türkische Zoll steht neben dem Flughafen Malta. Eine beklemmende Audiocollage vereint Sirenen, Flughafengemurmel, einschnappende Türschlösser und Hilferufe: Sound, bei dem die Grenze zwischen Reisen und Flüchten nicht mehr herauszuhören ist.

Obwohl die meisten Flüchtlinge, legal oder illegal, auf dem Luftweg nach Europa kommen, sind es die Seeüberfahrten, die mediales Aufsehen erregen. Das Biennale-Projekt Intermundia von Ana Dana Beros erzählt anhand eines Buches und mit einem Installationsraum von der Rolle der Insel Lampedusa im Kontext der mediterranen Flüchtlingsbewegungen. Teil dieser Geschichte ist die Operation Hermes 2011, bei der Frontex-Vertreter auf Lampedusa stationiert wurden, um die im Zuge des Arabischen Frühlings vermehrt flüchtenden Nordafrikaner zu befragen und zu identifizieren. Die Bezeichnung Hermes scheint dabei zunächst nachvollziehbar: Als Schutzgott der Reisenden müsste er umso mehr ein Schutzgott der Flüchtlinge sein. Geht man jedoch den Rollen des Götterboten nach, stösst man auf Metaphern grösster Grausamkeit: Hermes hatte als Sohn des Zeus die Funktion eines Gesetzgebers inne, er überbrachte als Götterbote Nachrichten der Götter an die Sterbenden und führte schliesslich die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt.

Während bei der Operation Odyssey Dawn in Libyen die Frage aufkommt, wieso die US-Strategen den militärischen Eingriff unter das Motto einer Irrfahrt stellen, zeigt das Beispiel der Frontex, dass die Mythologie als Inspirationsquelle für eine Orientierung in zeitgenössischer Flüchtlingspolitik ein semantisches Problem ist: Bezeichnung ist nie nur Eingliederung in eine Tradition der Namensgebung, sondern stets auch Aufwirbeln von konnotativem Staub – dieser macht aus dem Namen einer Operation allzu schnell ein Statement. Während die mythologischen Assoziationen der Frontex-Operationen zynisch anmuten, verrät die Bezeichnung durchaus auch ein – aus Sicht der Bezeichnungsverantwortlichen – wichtiges Ziel dieser Operation: Die Koordinierung der Rückführungen nach Tunesien kommen einer hermetischen Abriegelung Europas gleich – undurchdringlich, „cum sigillo hermetis“.