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Franziska Meierhofer

G wie Glauser

Friedrich Glauser. Ein literarisches Aushängeschild der Schweiz. Glausers Wachtmeister Studer. Ein Nationalheld. Die Schweizer Literaturgeschichte schmückt sich mit einem zu seinen Lebzeiten verkannten und zeitlebens bevormundeten Menschen. Wo Glauser und seine Werke heute als identitätsstiftend für die Schweiz gelten, war Glauser selbst heimatlos, getrieben und alles andere als angepasst. Glauser als Fahnenträger der Schweizer Literatur zu feiern, lässt aussen vor, dass die Schweiz für Glauser wohl nie ‚Heimat’ bedeutete. Glauser wurde, wie so viele Outcasts der Kunst und Literatur, von der Nachwelt vereinnahmt. Gerade Zürich im Jahr von 100 Jahre Dada tut sich ja darin hervor: Zürich, wo Lenin wohnte. Wo Hugo Ball in der Galerie Dada Klavier spielte. Wo irgendwer irgendwann irgendwie gegen die geltende Ordnung revoltierte, etwas Kluges erfand, und somit der Stadt zum Schmuck gereichte. Zu den glorreich gewordenen Ahnen gehört nun also auch Friedrich Glauser. Denn auch Glauser, als Krimi-Autor bekannt geworden, lebte ein paar Jahre in Zürich, wo er ein Semester lang Chemie und Romanistik studierte und sich mit den Dadaisten herumtrieb. Er sass neben Balls Klavier am Tamburin. Er gab an den dadaistischen Soirées Gedichte und «Sprachsalate» zum Besten. Er, dieser «sentimentale Poet», wie ihn einst die Zürcher Dada-Zeitschrift bezeichnete, soll ganz nebenbei Hausdealer der Bewegung gewesen sein. Der Umgang mit einem derart verdächtigen Milieu war es, der Glausers Vater dazu veranlasste, den 22-Jährigen wegen «liederlichen und ausschweifenden Lebenswandels» zu entmündigen. Diesen Rechtsstatus sollte Glauser zwanzig Jahre lang nicht mehr loswerden. Bis zu seinem frühen Lebensende galt er besonders aufgrund seines Morphinismus als kriminell, psychopathisch und mithin als unfähig, selbstbestimmt zu leben. Bis zum Schluss blieb er seinen Vormunden Rechenschaft schuldig – Vater, Ämtern und Ärzten. Denn Glauser war anders. Glauser war fremd.

 

Schon während seiner Schulzeit war es dem jungen Glauser unbequem. Er haderte mit den Autoritäten, dem Bürgertum, der Generation seiner Eltern und Lehrer. Der gebürtige Wiener flog von mehreren Schulen. «Passive Resistenz» scheint eine häufige Strategie gewesen zu sein, ausserdem betonen die Briefe und Berichte Glausers Impertinenz und Haltlosigkeit. Seine eigenen Aufzeichnungen lassen indes ein ausserordentliches Feingespür für das Zwischenmenschliche erahnen. Er schien Menschen mit Leichtigkeit zu entziffern – ihre Gesichter, ihr Verhalten und ihre Sprache. Alles Gekünstelte, alles Prätentiöse, alle selbstgerechte Eitelkeit widerstrebte ihm. Vielleicht war es diese frühe kritische und dennoch besonnene Haltung, die ihn zum Dada trieb. Der Maler Max «Mopp» Oppenheimer machte ihn mit Tzara, Janco, Hennings, Arp und Ball bekannt. Nachhaltig scheint Glauser jedoch nur die Begegnung mit Hugo Ball beeindruckt zu haben, für den er geradezu brüderliche Gefühle hegte und den er als den «einzigen ohne Pose» unter den Dadaisten beschrieb. Mit Bewunderung schwärmte Glauser von Balls Integrität und Bescheidenheit. Es war Ball, der an Glausers Arzt schrieb, um für ihn zu bürgen. Ball, der Glauser zusammen mit seiner Frau Emmy Hennings und deren Tochter für einen Sommer lang mit nach Magadino und auf eine Alp im Maggia-Tal nahm, wo sie – mittellos, wie sie waren – von Polenta und schwarzem Kaffee lebten und sich eine Schreibmaschine teilten. Doch auch unter den Dadaisten blieb Glauser ein Aussenseiter. Denn obwohl er regelmässig an der Bahnhofstrasse 19 auftrat, galt er nicht als ‚einer von ihnen’ (offenbar war doch nicht alles Dada).

 

Nach der Entmündigung und dem Antrag seines Vaters, Glauser internieren zu lassen, floh er zunächst nach Genf, wurde gefasst und verbrachte zwecks Morphium-Entwöhnung ein Jahr in der Psychiatrie Münsingen bei Bern. Von dort aus entkam er ins Tessin, wo er sich mit der Kunstszene Asconas rund um Robert Binswanger anfreundete. Es mag die Idylle gewesen sein, die Glauser nicht wirklich behagte und die dazu führte, dass ihn seine Morphiumsucht nach wenigen Monaten einholte und er sich durch Kleinkriminalität eine Verhaftung einhandelte. Während der Inhaftierung versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Es folgte eine erneute Internierung in der Psychiatrie, und wieder gelang Glauser die Flucht. Es trieb ihn weiter fort. Wobei es paradox anmutet, dass er sich aus der heimatlichen Fremdbestimmung in die Fremdbestimmung durch eine militärische Institution begab. Ging es ihm mehr um gesicherte Strukturen als um Abenteuer? Jedenfalls verstand er sich als beispielhaft für die entwurzelte europäische Jugend der 1920er, die nach den Kriegswirren orientierungslos auf Sinnsuche war. Seine Legionszeit in Algerien und Marokko (1921-1923) verarbeitete er fünf Jahre danach im Roman «Gourrama». Ungleich anderen Legionsromanen der Zeit thematisiert das Werk nicht das ‚orientalische’ Abenteuer, sondern die lähmende Lethargie des Kompagnie-Alltags. Diese Lethargie, «cafard» genannt, ist weder Heimweh noch Melancholie, sondern etwas dazwischen. Es ist eine ansteckende, apathische, zermürbende Form von Langeweile, die zur psychischen und physischen Verwahrlosung und schliesslich – wenigstens im Roman – zum Aufstand führt. Glausers Toxikomanie blieb auch im marokkanischen Hochgebirge ein Problem. Es folgten weitere Selbstmordversuche, bis er schliesslich für untauglich erklärt und zurückgeschifft wurde.

 

Die Parallelen zwischen Glauser und Rimbaud werden nicht zuletzt deshalb gezogen, weil beide zeitweise in afrikanische Kolonien auswanderten. Doch ihre Beweggründe waren vermutlich sehr unterschiedlicher Natur. Wo Rimbaud tatsächlich das «wahre Leben» fernab der Pariser Literaten gesucht haben mag, als er bereits mit 19 Jahren das Schreiben aufgab und später in Äthiopien und Somalia Handel betrieb, reiste Glauser im Bedürfnis nach Stabilität – auch finanzieller Art – nach Algerien. Geteilt zu haben scheinen sie jedoch ein Gefühl der Ausweglosigkeit in Europa selbst. Die Fremde, das selbstgewählte Exil, erschien ihnen als einzig valider Ausweg aus einer Gesellschaft, von der sie enttäuscht und ausgegrenzt worden waren. Die Fremdenlegion, so Glauser, «verspricht ein neues Leben auf dieser Erde, sie schenkt, was so viele nutzlos erhofft haben, einen neuen Namen und dadurch eine neue Persönlichkeit. Das Land liegt fern von den Orten, wo der Verzweifelte, der Ungeduldige, der Unzufriedene die Hoffnungslosigkeit kennengelernt hat. Die Fremdenlegion nimmt ihm jegliche Verantwortung für sich und für seine Lebensführung ab. Sie gibt ihm Kleider, Essen, Sold. Nichts verlangt sie von ihm als das, was er nur zu gern gibt: die freie Bestimmung über sich selbst.»

 

Das Fremde als Flucht. Als Flucht aus der Zeit, wie Ball es formulierte. Im Falle Glausers war auch das Schreiben ein Ausweg. Obwohl Emmy Hennings in einem Brief vermutete, dass Glauser mehr am Leben als am Schreiben lag, gaben ihm das essayistische Niederschreiben seiner Erlebnisse und ihre Verarbeitung in Briefen und Romanen offenbar Orientierung in der Haltlosigkeit seines Daseins. Er reflektierte sein Leben und Erleben in deren Erzählung. Er vermengte seine Biographie mit Fiktion und Sozialkritik und erlangte schliesslich mit seinen Krimis Bekanntheit: die Figur des Wachtmeister Studer stellte eine essentielle literarische und bald filmische Ikone für die Schweizer Identität der Kriegs- und Nachkriegszeit dar. Berühmt wurde Glauser also mit dem, was er im Grunde nur des Geldes wegen tat; vor allem aus finanzieller Not hatte er Ende dreissig seine Krimireihe begonnen und binnen nur dreier Jahre fünf Studer-Romane verfasst. Vielleicht ist deren Erfolg in Glausers Lebens- und Leidenserfahrung und seinem hohen Grad an Reflektiertheit geschuldet, welche die ausgefeilte Charakterentwicklung der Protagonisten der Stringenz der Geschehnisse vorzieht. So fremd ihm gesellschaftliche Normen auch waren, so sehr gelangen Glauser scharfsinnige und zuweilen höchst wohlwollende Beschreibungen der Menschen, die er traf. Vielleicht war es ja eben gerade sein Fremdsein in der eigenen Heimat und seine Tendenz zum Aussenseitertum, die ihn die Menschen, die ihm begegneten, mit der nötigen Distanz zu lesen und zu beschreiben befähigten. Obschon er diese Begabung relativiert, wenn er schreibt: «Erst wenn man Menschen, die in unserem Leben eine Rolle gespielt haben, wahrheitsgetreu schildern will, merkt man, dass dieses ‚wahrheitsgetreu’ nur eine Illusion mehr ist.»

Die Zitate stammen aus:  Glauser, Friedrich & Künzli, Erwin (2013): Dada und andere Erinnerungen aus seinem Leben. Zürich: Limmat Verlag.