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Franziska Nyffenegger

Faule Ausreden

Ein Text in eigener Sache zur Frage, was es heisst, in Sachen Sprachverwendung und Wahrnehmung von Anderen über die Bücher zu gehen.

Ich sitze im Zug von Zürich nach Basel. Dort will ich mir zwei Ausstellungen anschauen, eine über extraktive Praktiken und soziale Ökologien im Museum der Kulturen, eine zum Werk von Kara Walker im Kunstmuseum. Ich bin Ethnologin und interessiere mich für das Andere, dafür, wie wir – wie ich – die Anderen sehe und wahrnehme, wie ich sie per- und rezipiere, wie wir uns begegnen, was diese Begegnung mit uns machen, wie sie sich verändern, wie wir sie verändern. Ich bin auch interessiert an Sprache und daran, was wir mit ihr und sie mit uns macht. Ich bin stolz auf meine Reflektiertheit und meinen kritischen Blick.

Ich sitze im Zug von Zürich nach Basel und bin beleidigt. Zwei Studentinnen, hat mir mein Vorgesetzter gestern mitgeteilt, monieren einen Blogbeitrag an, den ich vor gut fünf Jahren für Zollfreilager.net geschrieben habe. Es geht um das N-Wort, darum, dass dieses Wort im Titel des Beitrags vorkommt, darum, dass das, so die Studentinnen, heute einfach nicht mehr geht. Die beiden haben, stelle ich mir vor, mit einer Suchmaschine das Internet abgegrast, um Menschen – mich! –, die nichts Böses wollen, anzuklagen, ohne Grund und ohne Not, so wie es diese Frankfurter Kanzleien machen, die im Internet nach nicht lizenzierten Bildern suchen, um noch Jahre nach deren Veröffentlichung bei den Bloginhaber:innen Gebühren einzufordern.

Der Blogbeitrag ist nicht allzu lang und besteht im Kern aus einem Pastiche direkter Zitate aus Briefen meines Urgrossvaters. Als Professor für Geologie nahm er 1929 an einer Exkursion nach Südafrika teil. Er beschreibt, was er sieht, in der Sprache seiner Zeit (zu der auch das N-Wort gehört). Seine Blickweise, seine Denkweise, seine Sprechweise haben mich bereits als Studentin vor über dreissig Jahren irritiert. Da ist beispielsweise die Rede von «Prachtskerlen», die «sehr gutmütig und ruhig» seien, davon, dass sie «malerisch herumlungern» und es «ein Genuss» sei, «den Bewegungen dieser schön fein gebauten Körper zuzusehen». An einer Stelle vergleicht er die südafrikanischen Menschen mit Tieren. Er ist Naturwissenschafter und Humanist. Er begegnet den Anderen mit Neugier und einer gewissen Verwunderung, vor allem aber mit gönnerhafter Herablassung. Er mag selbst kein Kolonialist gewesen sein, aber ein Kolonialkritiker war er definitiv nicht.

Der Blogbeitrag kommentiert die historischen Zitate nur kurz und wenig kritisch. Er überlässt die Reflexion den Leser:innen, um deren Aufmerksamkeit er mit einem besonders träfen Titel buhlt, eben jenem Titel, der jetzt unter Beschuss geraten ist. «Das ist doch ein Zitat!», kontere ich die Kritik und dass das doch nicht so gemeint sei. Ganz im Gegenteil! Also bittesehr! Und überhaupt: der Kontext, der Kontext!

Ich bin beleidigt wie ein kleines Kind, das einen Fehler nicht zugeben mag. Ich suche Rat bei einer Freundin. Sie schickt mir einen Link auf eine Kolumne, in der Anna Dushime über die «Obsession nicht-Schwarzer Menschen, das N-Wort zu sagen» nachdenkt. «Das Wort schmerzt», erklärt Dushime und dass sie nicht immer und immer wieder ihre Menschlichkeit verhandeln wolle. Ihr Apell ist unmissverständlich: «Wenn du nicht Schwarz bist, benutzt du das Wort nicht.»
Dushime hat Recht. Die beiden Studentinnen haben Recht. (Und dabei spielt es keine Rolle, ob sie genauso weiss sind wie ich oder nicht.) Es gibt keinen Grund das Wort zu wiederholen. Es gibt keinen Grund, es in einem Titel zu brauchen. Ich kann – wir können – über die Blick- und Ausdrucksweisen des Urgrossvaters gut ohne dieses Wort nachdenken.

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Der oben thematisierte Beitrag mit dem N-Wort im Titel erschien 2015 auf Zollfreilager. Er wurde am 12. August 2021 von der Website genommen.