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F wie FOKN BOIS

Dadaistische Vorgehensweisen bedienten sich oft verschiedener Spielarten des Unsinns, um verkalkte Sinngebilde zu brechen. In Ghana macht sich heute ein humoristisches Rap-Duo, die FOKN BOIS, daran, dasselbe mit Rollenbildern und Identitäten ihrer Lebenswelt zu tun. Beim folgenden Beitrag handelt es sich um eine freie Interpretation.

 

Eine belebte Einkaufsstrasse irgendwo in Accra, der Hauptstadt Ghanas: Zwei Typen laufen durch die Gasse. Sie sind anfangs dreissig, Schwarzafrikaner und tragen knallbunte Gewänder. Sie nennen sich Wanlov The Kubolor und Mensa. Sie albern herum, lachen, schwanken fast. Die Kamera schwenkt mit: hin und her, vor und zurück. Aus dem Off baut sich ein Beat auf, dazu ein schrilles «Uh, haha. Yes, yes, yes, yes, yes, yes, yes, yes». Wanlov beginnt das Gespräch:  «Yo, M3NSA, ha ha. We dey come up for the world inside you know … I believe that. But it be like, they don’t really know wanna identity. So, how you go describe yourself?» Es folgt eine kurze, rhetorische Pause, dann Mensa’s verbaler Paukenschlag, mit dem der Rap beginnt:

 

«Ha! I be the smell the melanin in my aroma.

The chalewote wearing roamer.

The waakye in the leaf eater.

The when-i-see-your-mother greeter.

The coconut and mango tree climber.

The socksball in the gutter go and finder.

The syto schooler.

The sharp brain, but number one class distraction fooler.

The minerals in the cooler stealer.

The do-it-with-my-bare-hands orange peeler.

Musama disco christo church healer!»

 

Mit den Reimen überschlagen sich Bilder und Beat. Jeder Selbstbeschreibung folgt eine neue Kameraeinstellung, eine nächste Szene, ein anderes Outfit. Mal hopsen die beiden in Anzügen über Dschungelbäume, mal rennen sie in Unterhosen durch einen Konzertsaal. Währenddessen bezeichnen sie sich weiterhin als Mutter-Begrüsser, Mineraliendiebe, Mangobaum-Besteiger usw. Das Lied heisst BRKN LNGWJZ («Broken Languages») und das Rapduo nennt sich FOKN BOIS.

Kennen gelernt haben sich die beiden Rapper nach eigener Aussage vermutlich bereits bei den Pfadfindern. Eine eigentliche Freundschaft entstand aber erst 1997 während ihrer Schulzeit in Cape Coast, einer Küstenstadt im Süden Ghanas. Die beiden titulieren sich offiziell als «award winning Gospel Porn duo», mit dem obligatorischen Vermerk am Rande, dass sie aber keine Nigerianer seien. Ihr erstes Album «The FOKN Duna Quest in Budapest» erschien 2011. Das Album «FOKN with Ewe» von 2012 bezeichnen sie als «the debut Gospel Porn album by the most politically incorrect music group of all times». Breitere Bekanntheit erlangt haben sie allerdings schon 2010 durch ihre Single BRKN LNGWJZ, vor allem aber durch ihren knapp 45-minütigen Musikfilm «Coz Ov Moni», den weltweit ersten Musikfilm in reinem Pidgin. Der Film wurde an verschiedenen Filmfestivals gezeigt, unter anderem dem «Rio International Film Festival» und dem «Pan African Film Festival» in Los Angeles sowie in Cannes. Die Fortsetzung erschien anfangs 2014.

Ihr westafrikanisches Pidgin bauen Wanlow und Mensa immer wieder in ihren Liedern ein, als beispielhaft kann BRKN LNGWJZ gelten, in dem sie ihren Zuhörern haufenweise hybride Satzkonstruktionen zwischen Pidginausdrücken und Hochenglisch um die Ohren werfen. Der Titel des Lieds unterstreicht die Absicht zur experimentellen Sprachakrobatik, wobei das Duo nicht nur mit dem Sinn und Unsinn von Wortbedeutungen spielt, sondern damit auch die mit dem hybriden Sprachgebrauch aufkommende Frage (Wer spricht?) anspricht. Dadurch, dass die beiden Rapper ihren Rap schelmisch mit der Ausgangsfrage beginnen («Wie würdest du dich/deine Identität beschreiben?»), erwartet der Hörer eine Antwort. Der Clou: Die angesprochene Identität steht ebenso auf der narrativen Ebene des Liedtexts wie aufgrund des Songtitels auch auf der Meta-Ebene des Liedes selbst in Frage.

Selbstverständlich ist die Antwort der FOKN BOIS ebenso zwiespältig wie die Sprache, mit der sie diese geben. Vordergründig handelt es sich um eine Aufzählung verschiedenster Persönlichkeiten, die während den sieben Minuten dieses Lieds kaskadenartig herunterrasseln. Zwei Hauptgruppen lassen sich ausmachen: Einerseits handelt es sich um Überzeichnungen gesellschaftlicher Rollenbilder, wie etwa beim «disco christo»-Kirchenheiler. Andererseits gibt es eine Vielzahl von Marginalien aus dem Alltagsleben, aus denen Charaktere geformt werden, beispielsweise der nackthändige Orangenschäler. Inhaltlich beschreiben die meisten der Ein-Zeilen-Persönlichkeiten den Charakter eines Lausbuben oder eines Taugenichts. Manche sind völlig übertrieben, andere gleich gänzlich absurd, etwa der Phlegma-Verspeiser. Mit jeder neuen Zeile wechselt die reklamierte Identität. Manche ergänzen sich zwar zu einem passenden Bild, aber in der Summe verwäscht jegliches Profil. Einige Ein-Zeilen-Identitäten verweisen aufeinander und manche negieren sich, aber irgendwie halten sich alle gegenseitig zum Narren. Das Lied schweigt sich darüber aus, welche von ihnen letztlich ernst zu nehmen sind und welche nicht. Im Gegenteil, die Verwirrung verstärkt sich auf der rhetorischen Ebene: Die Persönlichkeiten währen gerade einmal für eine Zeile, also kaum mehr als eine volle Sekunde. Sie sind radikal unverbindlich und total austauschbar. Sie verkörpern kein authentisches, inneres Selbst, dessen chiffrierte Oberfläche sie wären, sondern sie sind von einem solchen gänzlich gelöst. Mit anderen Worten: Sie sind nichts weiter als Kostüme. Die Ausgangsfrage  wird von den beiden Rappern also nicht nur nicht eindeutig beantwortet, sondern umgehend ad absurdum geführt. Ebenfalls ad absurdum geführt wird der Inhalt ihrer Phrasen auf der sprachlichen Ebene: Ganz in Richtung Dada-Lautgedicht-Jargon hantieren die FOKN BOIS mit Vokabeln, Lauten und Bedeutungen: Sinnleere Formulierungen, paradoxe Äusserungen und exzessive Wiederholungen ziehen sich durch das ganze Stück.

Geht man davon aus, dass Identitäten nicht aus einer Menge von festen Eigenschaften bestehen, sondern durch symbolische Handlungen laufend neu realisiert («performed») werden, trifft man in diesem Lied auf Identitäten, die auf ihre Performances beschränkt bleiben. Mensa ist der nackthändige Orangenschäler nur gerade solange, wie er sagt, dass er der nackthändige Orangenschäler ist. Der Sprechakt reproduziert diese Orangenschäler-Persönlichkeit aber nicht auf ein Neues, sondern er ist sie gewissermassen selbst. Bei den einzeiligen Selbstbeschreibungen dieses Lieds handelt es sich nicht um Beschreibungen von Identitäten, sondern um Beschreibungen als Identitäten. Da die Rapper bereits von Anfang an verkleidet auftreten, gibt es auch keine eigentlichen Personen zu sehen, die sich mit den Sekunden-Identitäten kostümieren. Die Verkleidung besteht von Anfang bis zum Ende. Es ist nirgends klar, wer die beiden sind und wen sie spielen. Sogar die Identität des Rap-Duos selbst bleibt eine Leerstelle. Die Frage, wer spricht, kann höchstens so beantwortet werden: Eine Kostümierung. Insofern ist es auch unklar, was die Beiden wirklich beabsichtigen, wo sie wirklich stehen, was sie extrastarken Sendungsbewusstsein wollen und aussagen wollen. Hinsichtlich dessen liest sich der eigentlich unlesbare, aber doch entzifferbare Titel BRKN LNGWJZ reichlich selbstironisch: Sie reden ohne etwas zu sagen, und sie sprechen ohne zu reden. wobei auch das obligatorische «oder?», das hier folgen müsste, nicht allzu ernst genommen werden sollte – oder?