Exotismus als Schweizer Spektakel
Der von Patricia Purtschert, Barbara Lüthi und Francesca Falk herausgegebene Band «Postkoloniale Schweiz» beschäftigt sich mit «Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien». Der vorliegende Text ist ein kurzer Ausschnitt aus einem Beitrag der drei Herausgeberinnen, der eine Bestandsaufnahme der postkolonialen Schweiz vornimmt. Er verdeutlicht, dass auch in der Schweiz stereotype Fremdbilder produziert wurden, die bis heute zirkulieren.
Eine andere Auseinandersetzung mit der postkolonialen Schweiz wird möglich, wenn die Zelebration und Popularisierung von stereotypen Fremdbildern betrachtet wird. Ein historisches Beispiel dafür sind die seit Mitte des 19. Jahrhunderts beliebten Völkerschauen, die als Volksbelustigung galten und oft von Ort zu Ort zogen. Manche wurden von lokalen Veranstaltern organisiert, oftmals fanden sich Schweizer Städte und Dörfer aber auch auf dem Tourneeplan von international agierenden Schaubuden. So wurde die Nachricht vom Eintreffen des Extrazugs mit der »Singhalesen-Show« des deutschen Carl Hagenbeck am 1. August 1885 in Zürich begeistert aufgenommen. Bereits am ersten Wochenende wurden über 10.000 Eintrittskarten verkauft und die Neue Zürcher Zeitung riet den Leserinnen und Lesern nach einer Woche: »Es genügt nicht, die Singhalesen nur ein einziges Mal zu besuchen. Die Tänze, welche sie aufführen, der ganze ungewöhnliche Aufputz, alles muthet uns fremdartig an. Aber bei öfterem Besuch beginnt die Phantasie diese fremden Bilder zu verarbeiten und man fühlt sich in einen Palmenhain versetzt.«[1] Zwischen der Ausstellung eines westafrikanischen Mannes um 1835 und der afrikanischen Tier- und Völkerschau, die der Zirkus Knie 1960 (!) auf der Sechseläutewiese veranstaltet hat, macht Rea Brändle in Zürich über 60 Völkerschauen aus.[2]
Timothy Mitchell hat gezeigt, dass diese »Kultur des Spektakels« Teil einer spezifisch kolonialen Repräsentationspraxis ist, welche die Welt als Ausstellung versteht:
»Während des gesamten 19. Jahrhunderts sahen sich nichteuropäische Besucher zur Schau gestellt oder in das Objekt intensiver europäischer Neugier verwandelt. Die Erniedrigung, die sie oft erlitten, war, ob beabsichtigt oder nicht, anscheinend unvermeidlich und war für dieses Spektakel ebenso notwendig wie die an Gestellen befestigten Fassaden oder die Scharen neugieriger Zuschauer.«[3]
Ein Effekt dieser Praxis bestand darin, dass die westliche Wahrnehmung von anderen Kulturen wesentlich durch eine Logik bestimmt war, die auf die eigene, das heisst eurozentrische Repräsentation zurückgeht. Dies zeigt sich auch bei den europäischen Reisenden, welche die Ausstellungen verliessen, um das reale Andere aufzusuchen[4]: Oftmals rückten sie ihre Erlebnisse (unter grossem epistemischen Aufwand) so zurecht, dass sie den mitgebrachten Bildern entsprachen. Bezeichnend für die koloniale Logik des Ordnens und Darstellens war auch die verbreitete Zurschaustellung von exotisierten Menschen in Schweizer Zoos.[5]
Die koloniale Tradition einer »Kultur des Spektakels« kann in der Schweiz bis in die Gegenwart hinein verfolgt werden. So bietet beispielsweise die Fasnacht reichlich Stoff für eine postkoloniale Analyse: Noch heute verkleiden sich zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer als Indianerhäuptlinge mit Federschmuck, Afrikanerinnen im Baströcklein oder Chinesen mit langem Zopf. Die Präsenz solcher kolonialen Spektakel im Schweizer Alltag geht einher mit dem kargen Wissen über den Kolonialismus und den aussereuropäischen Raum, das den Schweizer Alltag kennzeichnet. Das führt, wie Cintia Meier-Mesquita beschreibt, etwa zu Zweifeln an der nationalen Zugehörigkeit von Menschen, die als nicht weiss taxiert werden. Ein Personalchef habe das Vorzeigen ihres portugiesischen Passes mit der Aussage quittiert:
»›Portugiesen sind weiss, Sie aber sind schwarz.‹ […] Dies wirkte auf mich sehr befremdend, weil ich konstatieren musste, dass erstens Dunkelhäutige – auch wenn sie an der Universität tätig sind – nicht als glaubwürdig gelten, und dass zweitens hierzulande [in der Schweiz] die Kolonialgeschichte Europas weitgehend unbekannt ist.«[6]
Der vorliegende Text ist ein Unterkapitel aus dem von Patricia Purtschert, Barbara Lüthi und Francesca Falk verfassten Beitrag Eine Bestandesaufnahme der postkolonialen Schweiz, der erstmals im folgenden Band veröffentlicht wurde:
Purtschert, Patricia/Lüthi, Barbara/Falk, Francesca (Hg.): Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien. Bielefeld: transcript Verlag, 2012, S. 13-64.
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung des transcript Verlags veröffentlicht. Er findet sich auf S. 36/37 der genannten Publikation.
[1]Brändle, Rea: Wildfremd, hautnah. Völkerschauen und Schauplätze. Zürich 1880-1960, Zürich, 1995, S. 49.
[2]Vgl. Ebd., S. 160-166.
[3]Mitchell, Timothy: Die Welt als Ausstellung. In: Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus, Frankfurt am Main, 2002, S. 150.
[4]Siehe dazu auch: Fierz, Gaby: Das Making-Of von Gardis Afrika. In: Purtschert, Patricia/Lüthi, Barbara/Falk, Francesca: Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, Bielefeld, 2012, S. 355-378.
[5]Vgl. die Untersuchung von Balthasar Staehelin zum Zoo Basel: »Zwischen 1879 und 1935 wurden dem Basler Zoopublikum einundzwanzig Schauen mit meist aussereuropäischen Menschen vorgeführt.« Staehlin, Balthasar: Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879-1935, Basel, 1994, S. 11.
[6]Meier-Mesquita, Cintia: Die soziale Bedeutung der äusseren Erscheinung.›Farbige‹ in einer›nichtfarbigen‹ Gesellschaft. In: Tangram. Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Jg. 5, H.8 (2000), S. 9.