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Karin Seiler

Die Prärie in unseren Köpfen

Neulich im Trampolino traf ich auf Winnetou. Vielleicht war es auch einer seiner Brüder, Väter oder Onkel. Jedenfalls war es ein Indianer, denn er trug Federn im Haar, sass auf einem Pferd vor einem Tipi – oder war es ein Wigwam? –, in dessen Innern sich ein alter Häuptling auf einem Bärenfell eine Friedenspfeife anzündete. Und er hatte anscheinend gerade ein Bleichgesicht an den Marterpfahl gefesselt. Im Hintergrund ging immerzu die Sonne unter.

Das Trampolino ist ein sogenannter Indoor-Spielplatz – ein Ort, welcher unterbewegten Kindern maximale motorische Zerstreuung bei gleichzeitig kleinstmöglichem Betreuungsaufwand für die Eltern bieten will. An einem verregneten Sonntag gleicht er einer plastifizierten Vorhölle.

Durch diese Vorhölle also tuckert der von Schweiss und Süssigkeiten schon ziemlich klebrige Bleichgesichtnachwuchs in einer Spielzeugeisenbahn, immer im Kreis um dieses mit beinah rührender Unbeholfenheit inszenierte Indianeridyll im Miniaturformat, eine gnadenlose Karikatur unserer kindlichen Präriephantasien.

In unserem kollektiven Phantasieraum gibt es keine Native Americans, es sind die Indianer, die diesen – zusammen mit den Rittern des Mittelalters und den Piraten des 18. Jahrhunderts – auch heute noch bevölkern. Keine Kinderfasnacht, keine Streetparade ohne kleine und grosse Indianer und Squaws, komplett mit Federschmuck und Tomahawk. Selbst die Panflötenspieler am Zürcher Knabenschiessen tragen – bar jeglicher ethnogeografischer Logik – Fransenhosen und den Federschmuck im Haar, um ihre Andenlieder mit einem Hauch von Prärieromantik anzureichern.

Es mangelt ja nicht an publizistischen, pädagogischen und kuratorischen Anstrengungen, der unbekümmerten Lust am Spiel mit stereotypen Kostümen und Requisiten einen differenzierteren Blick auf die indigenen Kulturen entgegenzusetzen. Doch welche Bilder hat ein Hinschauen auf deren gewalttätige Auslöschung, ihren immer noch andauernden Überlebenskampf und die damit verbundenen semantischen Minenfelder zu bieten? Einen Winnetou im Reservat wollen wir uns nicht denken müssen. Da sähen wir ihn wohl lieber tot. Und niemand lässt gern seine Helden sterben – schon gar nicht, wenn sie niemals gelebt haben.