Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.
Pascale Gähler

Die Freiheit der Laiinnen

Frühkommentar zu «Ensaio para uma Cartografia» von Mónica Calle & Casa Conveniente

Die silbern glänzenden Pailletten, das pinke, knielange Federkleid und die zerrissenen Bluejeans fallen bereits kurz nach Spielbeginn auf den Bühnenboden und entblössen die 12 Tänzerinnen und ihre Choreografin. Nackt blicken sie ins Publikum. Die Nacktheit der Frauen in Mónica Calles Tanzstück «Ensaio para uma Cartografia» kann als ein emanzipatorischer Akt verstanden werden. Die Darstellerinnen formieren sich in einem raumgreifenden Dreieck. Zu «Boléro», dem Orchesterstück des französischen Komponisten Ravel, tanzen sie eine simplifizierte, doch akkurate Bewegungsabfolge.

Immer wieder stoppt die Musik: Aus dem Lautsprecher ist die harsche Stimme des Dirigenten zu hören, der stets etwas an den Musikerinnen zu bemängeln hat. Beharrlich beginnen die Frauen wieder und wieder mit der Orchesterprobe. Sie ringen damit, ihre körperlichen Anstrengungen leicht und tadellos aussehen zu lassen. Mit ihren Bogen streichen sie über die Saiteninstrumente und entlocken ihnen einige wohlklingende Töne als Ensemble – auch wenn das Gekratze der Instrumente überwiegt. Die sichtlichen Bemühungen der Musikerinnen, die mit ihrer Schutzlosigkeit koalieren, lassen den Raum erstummen.

Sie sind Laiinnen; Laiinnen der klassischen Musik und des klassischen Tanzes, die die Strapazen auf sich nehmen und ihr Bestes geben. Gefangen in der Leistungsgesellschaft, im Klang, in ihrem Ausdruck und ihren Bewegungen streben sie nach Perfektion. Aber was wäre, wenn Perfektion nie erreicht und dadurch als Imagination verstanden werden kann? Dann können Laiinnen die Hauptakteurinnen eines Orchesters spielen; und auch das Kämpfen der untrainierten Tänzerinnen als Freiheit wahrgenommen werden. Was zu Beginn der zweistündigen Spielzeit radikal wirkt, weicht einer unverkennbaren Echtheit.

|

Seit knapp 30 Jahren leitet Mónica Calle das Casa Conviente in Lissabon, das einen Namen als innovatives Theaterlabor geniesst. In ihrer eindrücklichen Ansprache auf der Nordbühne zu Beginn des Stückes am Theaterspektakel erzählt die Regisseurin und Choreografin über die Hintergründe dieses Werkes, mit welchem sie 2014 begonnen hat. Sie erforscht Randgesellschaften, das Potenzial von Kollektiven und dem Verbindenden und setzt einen Akzent gegen Normierendes und für das perfekte unperfekt-Sein.