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Ava Slappnig

Der Körper der Tänzerin

Frühkommentar zu «FUCK ME» von Marina Otero

Der ganze Saal ist in rotes Licht getunkt, aus der rechten Ecke vorne haucht eine Nebelmaschine weissen Rauch. Fünf nackte Adonisse mit Knieschoner stolzieren auf die Bühne, schmelzen von Pose zu Pose, verrenken und verbiegen sich immer mehr – lassen sich in den Spagat fallen und schnellen wieder hoch, jeder in seiner eigenen Bewegung gefangen. Irgendwann finden sie wie einzelne Zahnräder in einer gemeinsamen Maschine zusammen, eine synchrone, grobe Choreografie. Sie habe die grossen Meister der Kunst- und Literaturgeschichte dominiert, verwurstet und neu zusammengeknotet ausgespuckt, sagt die Choreografin Marina Otero zu einem späteren Zeitpunkt im Stück. Zusehen schmerzt.

Abrupt reisst Marina Otero das Publikum immer wieder raus aus ihrem dunklen, voyeuristischen Versteck und zerrt es ins Hier und Jetzt, in den grossen Saal am See zurück, auf die steil gestufte Tribüne, in die schlechte Luft hinter den Masken. Otero sitzt dann am Bühnenrand und erzählt uns ihre Lebensgeschichte zu verwackelten Bildern auf der gigantischen Leinwand hinter ihr – Videoaufnahmen ihrer Familie, sie selbst als Kind, sie tanzend, sie im Spital, das Gesicht ihrer toten Grossmutter. Sie ist ihr eigener Untersuchungsgegenstand, ihre Biografie eine unerschöpfliche Quelle, das Stück ein Teilprojekt ihres Lebenswerks. «Das ist alles echt!», schreien mir die Bilder und Figuren auf der Bühne entgegen.

Die fünf Tänzer bilden zusammen den Körper, den Marina Otero nach ihrer Rückenoperation – drei kaputte Bandscheiben – nicht mehr sein kann und nehmen ihre Rolle ein. «Dieses Stück wird sie heilen», sagen sie; ein leeres Versprechen. Otero dominiert die nackten Körper, die eigentlich auch ihr eigener sind, schonungslos, benutzt sie wie Werkzeuge und nennt sie allesamt Pablo. Otero dirigiert die Tänzer über die Bühne, fordert sie auf, lauter oder leiser zu sprechen und fällt ihnen ins Wort: «Wir sind willig» sprechen die im Chor wie ein Mantra. Die Pablos sind durchnummeriert, Pablo 2 ist nicht dabei, weil ihm das Nacktsein Probleme bereitet, erklärt Pablo 3. Nervöses Lachen im Publikum. Die Grenzen von Oteros Stimmen und Bewegungen verwischen zunehmend, eine scharfe Linie ist nicht mehr auszumachen. Wenn sie die Männer ihre Monologe sprechen lässt, ist bald nicht mehr klar, ob Otero durch ihre Körper eine Stimme findet, oder ob die Tänzer doch auch ihre eigenen Erfahrungen teilen.

«Ich weiss nicht mehr wie man Schmerz in Schönheit verwandelt» erklärt sie nüchtern und ich sitze unbequem auf meinem Stuhl und verkrampfe mich immer mehr, wenn Otero mit ihrem Operationsrücken steif über die Bühne stakst und die Schwächen ihres Körpers in das Megafon schreit. Wenn die Tänzer einen ihrer Avatare herumreichen und nacheinander oder gleichzeitig von hinten und von vorne penetrieren. Wenn Marina davon spricht, dass sie am liebsten mit uns allen Sex hätte, aber sie das wegen ihres schmerzenden Körpers nicht mehr kann. Wenn es im Saal ganz still wird bis auf das Stampfen und Schnaufen und Klatschen der nackten Körper. Wenn sie die Tänzer Strümpfe über den Kopf ziehen lässt und sie als kriechender Tausendfüssler von der Bühne durch die Publikumstribüne ins Off schickt.

Als die Musik leiser und die Bühne schwarz wird, schnauft das Publikum erleichtert aus und entlädt die geballte Anspannung in tosendem Applaus.

Marina Otero (*1984 in Bueons Aires) ist Performerin, Autorin, Regisseurin, Forscherin und Lehrerin. In ihren Werken beschäftigt sie sich immer wieder mit den Kernkonzepten von «provocation, memory, death, pain, money, violence and time»; der Körper steht dabei oftmals im Zentrum. Das Stück «FUCK ME» feierte 2020 in Buenos Aires Premiere und ist neben Andrea (2012), und Remember 30 years to live 65 minutes (2015) der dritte Teil ihres endlosen, autobiografischen Theaterstücks Remember to live. Ursprünglich sollte Otero für «FUCK ME» als einzige Protagonistin auf der Bühne stehen, ihr Körper liess sie jedoch im Stich. Stattdessen lenkt die Künstlerin wie eine Puppenspielerin nun fünf nackte Männer an ihrer Stelle über die Bühne: «Voy a mirar como ellos le prestan su cuerpo a mi causa narcisista» – Otero werde zusehen, wie diese Körper für ihre narzisstische Sache zur Verfügung stellen.