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Dominique Raemy

Dada-Gauguin

Max Ernsts Gemälde «Dada-Gauguin» (1920) blickt hinter die Kulisse der Südsee-Motivik des 17 Jahre zuvor in Französisch-Polynesien verstorbenen Expressionisten. Sichtbar wird die Ambiguität des weiblichen Körpers zwischen exotischem Lustobjekt und bedrohlicher Dominanz, die in Gauguins Gemälden auf Tahiti immer mitschwingt. Sichtbar wird, in den männlichen Figuren, die hier zwischen pflanzlichen Geschlechtsorganen umherirren, der Maler selbst. Das Modell blickt gewissermassen zurück.

Gauguins Wirken auf Tahiti ist seit einiger Zeit Gegenstand postkolonialer und feministischer Debatten. Der Künstler mit einer Vorliebe für junge Mädchen (seine drei Lebenspartnerinnen waren kaum älter als 13, als er sie kennenlernte) lebte, bis zu seinem Tod an Syphilis, während insgesamt zehn Jahren auf der Pazifik-Insel.

Tahiti hatte seit Mitte des 18. Jahrhunderts einen festen Platz in der Imagination des christlichen Europas. Die Insel eignete sich als Projektionsfläche für den von Jean-Jacques Rousseau beschworenen Naturzustand als Gegenstück zu dem durch Zivilisation entfremdeten Menschen. In dieser Perspektive wurden die Menschen in der Südsee Tahitis zu edlen Wilden, die ein unschuldiges Leben in Harmonie führten. Die Idee leicht bekleideter Schönheiten in exotischer Umgebung hatte sich früh in den Köpfen derjenigen festgesetzt, die sich von der christlichen Sexualmoral eingeengt fühlten. Doch bereits als James Cook 1769 seine Endeavour vor Tahiti ankerte, war vom Idyll wenig übriggeblieben. Der Einfluss von Missionaren und Seeleuten hatte die Lebensweise der Einheimischen stark verändert, Sexualkrankheiten grassierten im Paradies.

Gauguin schiffte sich 1891 nach Tahiti ein. Die Enttäuschung über die Realität, die ihn dort erwartete, lässt sich bloss erahnen. In Gauguins Bildern und in seinem Erlebnisbericht Noa Noa ist jedenfalls nichts davon zu sehen. Sein Publikum war ein europäisches, und so arbeitete Gauguin fleissig an der Bestätigung des Mythos eines unberührten Eilands.

Liest man heute jedoch gewisse Passagen aus Noa Noa, begegnet man einer Vorform des heutigen Sextouristen. Gauguin sieht und beschreibt die Frauen «mit stillen Augen», denen er begegnet, als sexuelle Wesen, die «ohne ein Wort genommen», wenn nicht vergewaltigt werden wollen. Doch in der Frage, wie dies zu bewerten ist, entzweit sich die Gauguin-Forschung. Abigail Solomon-Godeau, eine Kunsthistorikerin feministischer Prägung, sieht darin den Inbegriff der Asymmetrie und des Machtmissbrauchs. Demgegenüber erscheint Gauguin bei anderen KunsthistorikerInnen wie Patricia Townley Mathews oder Stephen Eisenmann als ein von der offenen Sexualität der tahitischen Frauen verunsicherter Mann, der in seiner Überforderung ob des tahitischen Rollen- und Gesellschaftsgefüges auf konventionell-westliche Vorstellungen von Dominanz und Sexualität zurückgreifen muss. So konnte Gauguin in Tahiti etwa nicht als Mann gelten oder aktiv sein, da er sich nicht am Fischen und Früchtesammeln (auf Tahiti Männersache) beteiligen konnte und war entsprechend abhängig von teurer importierter Büchsennahrung und den Almosen der lokalen Bevölkerung.

Roger Kimball sieht in der feministischen Kritik an Gauguin auch eine Fixierung auf politische Korrektheit, die einer differenzierten Sicht auf das Werk im Weg steht. Als Beispiel führt er Manao Tupapau an, Gauguins 1892 entstandenes Portrait seiner ersten, kaum 13-jährigen Frau Teha’amana. Teha’amana liegt nackt im Bett und sieht mit rätselhaftem Blick den Betrachter an, während am unteren Bettrand Tupapau sitzt, der verschleierte Geist der Toten. Für die Kunsthistorikerin Griselda Pollock ist Manao Tupapau weniger ein Gemälde als ein Akt der Unterwerfung und Fetischisierung des weiblichen Körpers durch kapitalistisch-bürgerliche Maskulinität im Gewand der Kunst. Roger Kimball führt dagegen Gauguins eigene Erläuterungen an. So wird sich Gauguin später erinnern, dass er nachts das dunkle Zimmer betrat und eine Kerze anzündete. Tehura habe ihn angestarrt mit grossen, angsterfüllten Augen «[…] und sie schien nicht zu wissen wer ich war. Für einen Moment fühlte ich eine sonderbare Unsicherheit. Ihre Furcht war ansteckend; […] Vielleicht hielt sie mich mit meinem gequälten Gesicht für einen dieser legendären Dämonen oder Geister, die als Tupapaus die schlaflosen Nächte ihres Volkes heimsuchten.» Ausserdem teilt Gauguin das Werk in seinen Notizen in einen «musikalischen Teil», bestehend aus «wogenden horizontalen Linien, Harmonien in orange und blau verbunden mit Gelbtönen und Violett»; und einen «literarischen Teil» – «der Geist eines lebendigen Mädchens verbunden mit dem Geist des Todes. Nacht und Tag.» Für ihn stand die Darstellung des nackten weiblichen Körpers nicht im Zentrum. Er empfand die Studie gar als «etwas unanständig». Sein Hauptinteresse, so Kimball, galt der Wiedergabe der «ursprünglichen Mentalität» und des «traditionellen Charakters» der Tahitianer, welche sich in der Figur des Tupapau ausdrückten.

Bei allem Bemühen solcher Interpreten und Interpretationen: Die Noa Noa zeichnet an einigen Stellen das Portrait eines durchaus zweifelhaften Mannes, und die Betrachtung seiner tahitischen Nackten hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Zweifelhaft scheinen auch die Kritiker und Kuratorinnen, wenn sie die Diskrepanz zwischen der Geltung des Werks und derjenigen des Künstlers als Mann zu überspielen suchen – so etwa Adrian Searle in einer Rezension anlässlich der Ausstellung in der Tate Modern: «Colonialist, chauvinist, exploiter … Gauguin may have been all these things and more – but […] his faults are what make him great». Max Ernst, studierter Psychologe und begeisterter Leser der Schriften Sigmund Freuds, leistet als Interpret mehr. Mit seinem Bild Gauguin-Dada hat er zumindest einen Aspekt der Sexualität Gauguins eingefangen.

Quellen:

Gaugin, Paul: Noa Noa: The Tahitian Journal. Courier Corporation, 2012.

Kimball, Roger: The Rape of the Masters: How Political Correctness Sabotages Art. Encounter Books, 2013.

Searle, Adrian: Paul Gaugin: guilty as charged. https://www.theguardian.com/artanddesign/2010/sep/27/paul-gauguin-tate-modern-exhibition, abgerufen am 7. Juli 2016.

Solomon-Godeau, Abigail: Going Native, Paul Gauguin and the Invention of the Primitivist Modernist. In: The Expanding Discourse: Feminism and Art History. Boulder, CO: WestView, 1992. 313-329.

Townley Matthews, Patricia: Passionate Discontent: Creativity, Gender, and French Symbolist Art. University of Chicago Press, 1999.