Dada Afrika – Ein Blick zurück mit Esther Tisa und Michaela Oberhofer
DAMIAN CHRISTINGER: Die Ausstellung „Dada Afrika“ im Museum Rietberg im letzten Jahr war Teil des 100 Jahre Dada-Jubiläums. Wir möchten gerne mit euch einen Blick zurück werfen auf Eure Ausstellung in diesem Jubiläumsjahr. Wie habt ihr die Rezeption der Ausstellung erlebt?
ESTHER TISA: Unsere Ausstellung war ja innerhalb der Vielzahl der Ausstellungen, die sich im Jubiläumsjahr mit Dada auseinandersetzten, insofern etwas anders, als dass wir uns einem sehr spezifischen Thema mit einer neuen Fragestellung angenommen haben: Welche Wechselwirkungen gab es zwischen der avantgardistischen Dada-Bewegung und der aussereuropäischen Kultur? Wie wichtig war der Einfluss aus Afrika, Asien und den Amerikas für die Suche nach unverbrauchten Kunstformen im Zürich des Jahres 1916? Diese Fragestellung war innerhalb der Dada-Rezension noch nicht genügend gewürdigt worden und unsere kleine Ausstellung stiess deshalb auf grosses Interesse. Auch die internationale Presse hat ausführlich darüber berichtet, eben weil wir diesen klaren und vielleicht auch unerwartet spannenden Fokus in der Ausstellung hatten.
MICHAELA OBERHOFER: Viele Besucher sagten uns nach dem Besuch der Ausstellung: „Jetzt versteh ich Dada besser“, was uns eher überraschte, denn unsere Ausstellung hatte nicht den Anspruch, Dada zu „erklären“. Uns ging es – wie Esther ausführte – um die Wechselwirkung zwischen der Europäischen Avantgarde und den aussereuropäischen Kulturen. Dies führte fast ungewollt zu einer stärkeren Kontextualisierung des Phänomens Dada in Europa.
RUEDI WIDMER: Wenn diese Kontextualisierung fast ungewollt war – was war euch bei der Kontextualisierung von Dada in der Ausstellung wichtig?
MICHAELA OBERHOFER: Unsere Fragestellung war, wie die KünstlerInnen des Dadaismus Fremdes in ihre Kunst integrierten. Da zeigte sich schnell, dass dies weit über die reine Übernahme von Formen oder Ästhetiken hinausging. Etwas Zentrales, das die Dadaisten beeinflusste, war, gerade wenn es um die primitivistische Perspektive ging, das Performative, vor allem Tanz, Lautgedichte und Musik. Mindestens so sehr wie um neue künstlerische Ausdrucksformen ging es aber auch um die Suche nach alternativen Lebensentwürfen. Dort bot der Primitivismus, mit all seinen zeitgebundenen Missverständnissen, einen ausgezeichneten Ausgangspunkt, von dem her sich das Neue und Andere denken liess – auch in Abgrenzung zum vorherrschenden kolonialen Denken. Natürlich war es eine Projektion, wenn die Dadaisten das, was sie in der eigenen Kultur vermissten, eben das Ursprüngliche, Wilde, Kraftvolle und Unverdorbene im Fremden – teils auch in der eigenen Volkskunst – zu finden glaubten. Doch diese Projektion hatte wie gesagt sehr viel mit dem Performativen zu tun, und das versuchten wir in der Ausstellung herauszuarbeiten.
Die Frage, die sich mir nun auch im Gespräch stellt, ist, ob wir überhaupt von einem Einfluss fremder Kulturen auf den Dadaismus sprechen können. Um es in einem Bild zu sagen: Wenn ich Windmühlen als Riesen imaginiere, und diese Riesen dann mein Handeln beeinflussen, kann ich ja nicht von einem Einfluss der Windmühlen auf mein Handeln sprechen.
Natürlich war der Blick der Dadaisten auf die aussereuropäische und insbesondere auf die afrikanische Kunst eurozentrisch. Es ging nicht darum, die Lebenswirklichkeit der Menschen, die diese Artefakte schufen, vertieft zu kennen oder zu würdigen. Umgekehrt ist es interessant, was in Afrika mit dem Versatzstück Dada passierte, das bis heute in der zeitgenössischen Kunst herumspukt, wie Roger van Wyk in seinem Katalog‑Artikel zu „Dada South“ ausführt. Man könnte hier vielleicht auch von produktiven Missverständnissen sprechen.
DAMIAN CHRISTINGER: Nach der Première in Zürich wurde die Ausstellung in Berlin gezeigt, jetzt wandert sie nach Paris. Spielt der Ort, wo die Ausstellung stattfindet, eine Rolle für das, was gezeigt und rezipiert werden kann?
ESTHER TISA: Selbstverständlich prägt der Austragungsort die Ausstellung. Die postkolonialen Diskurse werden sowohl in Berlin als natürlich auch in Paris viel dezidierter geführt als bei uns in der Schweiz. Dazu kommt, dass die Ausstellung in Berlin in einem Museum für die Kunst der Moderne stattfand, was die kuratorische Ausrichtung und die Rezeption stark beeinflusste. Ästhetische Fragen und Vergleiche, die bei uns, wie gesagt, eher an zweiter Stelle kamen, spielten eine etwas grössere Rolle.
MICHAELA OBERHOFER: Auch die Sprache spielt eine entscheidende Rolle. Wir haben hier in Zürich sehr darauf geachtet, bestimmte Worte, die missverständlich konnotiert sind, zu vermeiden. So verwenden wir, wenn wir über Kunst aus Afrika sprechen, zum Beispiel nie solche kolonialistischen Begriffe wie „Stamm“ oder „Volk“, das heisst wir pflegen, eben auch wegen der historisch eurozentrischen Debatte um den Primitivismus, eine vorsichtige, differenzierende Sprache.
ESTHER TISA: Interessanterweise hatte der Platzmangel bei unserer Ausstellung, die Enge, die man auch kritisieren konnte, zur Folge, dass der Dialog zwischen den Werken viel Gewicht erhielt. Wir haben uns sozusagen notgedrungen stärker auf die Wechselwirkungen konzentriert als dies zum Beispiel in Berlin der Fall war; dafür kamen in Berlin vielleicht die einzelnen Werke stärker zur Geltung.
RUEDI WIDMER: Da möchte ich nachhaken und Euch zur Rolle der Ausstellung innerhalb des Museums Rietberg befragen. Auch im ersten Zollfreilager-Interview, das Katharina Flieger und ich mit Esther und Albert Lutz führten, ging es um die Frage von Werk und Kontext. Albert Lutz meinte damals mit Bezug auf Johannes Itten und das Bauhaus, es gehe um das Kunstwerk und seine Aura. Das Problem dabei ist, dass man die Werke zwar heraushebt und im besten Sinn zelebriert, dass man sie aber auch aus dem Kontext herauslöst. Ihr seid mit „Dada Afrika“ einen anderen Weg gegangen.
MICHAELA OBERHOFER: Ich finde dies das Schöne am Museum Rietberg, dass sehr verschiedene Ausstellungen möglich sind. Wenn mit der Ausstellung zu den Gärten die Schönheit der Kunst gefeiert wird, machen wir mit „Dada Afrika“ historische Beziehungslinien zwischen der Avantgarde und Afrika sichtbar. Dies hat ja innerhalb des Hauses auch eine Logik. Esthers Ausstellung zum Sammler Eduard von der Heydt aus dem Jahr 2013, die sich kritisch mit der Gründungssammlung des Museums auseinandersetzte, hat hier eine wichtige Linie vorgespurt.
DAMIAN CHRISTINGER: Ihr würdet also argumentieren, dass eure Ausstellung über den reinen Kunstbegriff hinauszielt?
ESTHER TISA: Wir versuchten, sozusagen die „Vorder- und die Rückseite“ der gezeigten Werke sichtbar zu machen, den Werken zum einen eine auratische Präsenz zu verleihen, zum anderen aber auch ein Licht auf ihre Herkunft, ihren Bedeutungswandel im Laufe ihrer Objektbiografie und ihre Rezeptionsgeschichte zu werfen.
Könnte dies nicht auch für das ganze Museum Programm sein?
MICHAELA OBERHOFER: Wir sind daran, die Sammlungspräsentation neu zu erarbeiten. Dies geschieht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern ist ein vielschichtiger Prozess, in dem natürlich auch Diskurse wie diejenigen von „Dada Afrika“ mit einfliessen.
In einem Gespräch, das Daniela Bär und Sophia Cosby im Zusammenhang mit der Ausstellung „Gastspiel – Schweizer Gegenwartskunst im Museum Rietberg“ mit Axel Langer, dem Kurator für die Kunst des Nahen Ostens, führten, fragen die beiden nach dem Umgang mit den Objekten. Traditionell geht es ja um „das Bewahren und würdige Ausstellen“ derselben. Axel Langer meinte daraufhin: „Das ist die klassische Aufgabe des Museums. Und sie wird es in Zukunft auch bleiben. Allerdings steht dahinter eine Geschichte, und zwar diejenige der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts und ihres Bildungsideals. Heute sind wir an einem anderen Punkt. Das Bürgertum gibt es immer noch, aber die heutige Gesellschaft stellt andere Forderungen.“ Wie kann also ein Museum wie das Rietberg auf diese sich verändernden Forderungen eingehen?
Die KuratorInnen des Museums sind sich alle einig, dass diese veränderten Forderungen an ein Museum, das aussereuropäische Kunst zeigt, auch in die Sammlungspräsentation mit einfliessen müssen. Dies wird sich aber wahrscheinlich sehr unterschiedlich zeigen. Welche Perspektiven sich aus den Objekten ergeben, werden wir erst noch sehen müssen, uns ist aber allen klar, dass die „Objektbiografie“ und Verflechtungsgeschichte in Zukunft sicherlich zum Ausstellen dazu gehört.
ESTHER TISA: Die verschiedenen Kontexte werden sich verstärkt in den Sonderausstellungen und auch in der zukünftigen Dauerausstellung manifestieren. Der ästhetische Aspekt wird wichtig bleiben, aber durch Text oder Multimedia erweitert werden. Han Coray, der den gedanklichen Ausgangspunkt für unsere Ausstellung bildete, ging übrigens den gleichen Weg. Die afrikanische Kunst, die sich ihm zuerst nur über die Bezüge zur Europäischen Avantgarde erschloss, wurde ihm mit der Zeit vom Kunstwerk zum Kulturgut, ohne dass dies für ihn den ästhetischen Wert geschmälert hätte.
Der Reformpädagoge wurde zum Afrikakenner?
Er baute eine ziemlich enzyklopädische Sammlung auf…
MICHAELA OBERHOFER: Wobei er wohl ähnlich wie die Dadaisten zuerst das Fremde im Eigenen und dann das Eigene im Fremden suchte. Er war auch nie in Afrika, das er idealisierte. Das Elementare, das er in der afrikanischen Kunst suchte, hat er sich sammelnd ins Haus geholt und damit natürlich auch domestiziert. Diese Domestizierungsbewegung ist ein Problem, das wir auch heute kritisch im Auge behalten müssen.
Michaela Oberhofer und Esther Tisa sind Teil des Kuratoriums des Museum Rietberg. „Dada Afrika. Dialog mit dem Fremden“ fand im Museum Rietberg vom 18. März bis am 17. Juli 2016 statt.
Das Gespräch wurde am 22. November 2016 geführt und durch Aussagen in einem Austausch am 8. Februar ergänzt.