Corean Pygmalion (?)
Über die (hoffnungslose) Arbeit des Animierens (sozialer) Körper
In «Rehab Training» zeigt die südkoreanische Performance-Künstlerin Geumhyung Jeong, was passiert, wenn frevelhaftes Streben auf einen leblosen Körper trifft. Ihre Stärken sind Beharrlichkeit und Begehren. Beides Eigenschaften, die auch dem Publikum abverlangt werden.
Mit unerschütterlicher Ernsthaftigkeit ist die südkoreanische Künstlerin Geumhyung Jeong am Werk. Während das Publikum in den Saal strömt, um auf Roll-Hockern ohne Lehnen, wie man sie aus Arztpraxen kennt, Platz zunehmen, widmet sie sich bereits voll und ganz ihrem männlichen Trainingspartner. Er hingegen – eine Dummy-Puppe, bekleidet mit einer weinroten, schlichten Leinenhose und mit freiem Oberkörper – bleibt unbeteiligt. Vorsichtig nimmt Geumhyung seine linke Hand. Sie beugt das Handgelenk behutsam nach hinten und nach vorne. Seine Flexibilität scheint nicht eingeschränkt, er hat biegsame Kugelgelenke, doch Bewegungen selbstständig ausführen will er nicht. Das Publikum rückt nah ran, die Räder rattern über den Hallenboden. Wenn einer nach rechts rückt, löst sich eine Kettenreaktion aus; andere rücken nach, um besser zu sehen. Sonst ist Stille im Saal, man hört einzig den quietschenden Widerstand der Plastikgelenke der Puppe. Dann rollt die Künstlerin, auf einem ebensolchen Hocker sitzend, um ihr Versuchsobjekt herum und nimmt sich, in andächtiger Manier, der zweiten Hand an.
So weit, so gut. Die Zuschauer*innen-Traube um die Trainingseinheit hält die Stellung und beobachtet, mit welcher peniblen Genauigkeit die Künstlerin einen Gurt mit Schlaufen, Karabinern und Klettverschlüssen um ihren Partner legt. Es ist immer noch ruhig, die Hydraulik der Hebemaschine, mit der sie ihn aufrichtet, zurrt. Ein Blick auf die in Raum verteilten Tische mit merkwürdig anmutenden Utensilien verrät eine Fülle an Anwendungsmöglichkeiten, die wir in den kommenden zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten (!) noch kennenlernen dürfen. Plötzlich bewegt sich die Künstlerin, auf dem Stuhl sitzend, rückwärts auf ihr Publikum zu. Sie durchbricht die Grenze zu den sitzend Schauenden, um zu einer Pritsche zu gelangen. Verwirrung und Bewegung unter den Zuschauenden – Hocker knatschen und knattern. Noch mehrmals an diesem Abend sollten sich die Anwesenden als Teil der Choreografie im Raum reorganisieren müssen, um dem Spektakel Raum zu geben. Wer hinten sass, sitzt plötzlich vorne. Manch einer will das nicht akzeptieren und trägt trotzig sein Hocker um die Gesellschaft herum, um sich wieder besser zu positionieren.
Und alles nur, um einem leblosen Wesen in mühevoller repetitiver Beharrlichkeit einen Hauch von Bewegung – von Leben zu verleihen. Ich denke an den Selbstoptimierungszwang in unserer Gesellschaft. Machen die Leute, die sich regelmäßig im Fitnessstudio selbstkasteien, nicht etwa dasselbe? Steht hinter allem nicht die blinde Überzeugung, dass alles aufgebaut und belebt werden kann, egal wie aussichtslos es ist? Man muss es nur wirklich wollen, dann kommt das Wachstum, dann kommt die Bewegung, in diesem Fall im Spiel? In der Performance schwebt auch ein Hauch Frankenstein’scher Selbstüberschätzung mit. Die Künstlerin führt ihre Therapie ins Absurde, denn es ist klar, dass ihr Dummy reglos alles mit sich machen lässt. Dass er sich selbst nicht ändern lässt. Es bleibt schweisstreibende Arbeit am Körper und am eigenen Willen – letztlich selbstvergessene Arbeit der Künstlerin an sich selbst. Es fallen mir plötzlich die vielen Dinge auf, die wir seit unserer Kindheit erlernt haben. Kleine Handgriffe, die wir täglich widerholen und ausführen ohne nachzudenken. Diese Puppe kann nichts und doch, oder gerade deshalb, wird sie in Rehab Training zur optimalen Projektionsfläche für die Künstlerin.
Geumhyungs Blick bleibt über die gesamte Zeit an ihr Gegenüber geheftet. Prüfend und fragend, so als gäbe er ihr eine Rückmeldung. Weniger wie Frankenstein, sondern eher wie die Statue des Pygmalion. Die leblose Puppe gibt keine Antworten, dafür geben die Handlungen der Künstlerin sehr wohl Aufschluss über das, was mit ihr passiert. Sämtliche Motivation, sämtliches Begehren geht von ihr aus. Wir folgen ihr auf ihrem Trip. Schließlich lernt die Puppe, eingehängt in eine Apparatur zu laufen. Dann folgen Geschicklichkeitsübungen mit seinen ungelenken Plastikhänden. Geumhyung ist die Puppenspielerin ihrer Phantasien. Das wird einem klar, während die Bewegungsabläufe immer anzüglicher werden und bis schließlich die entfesselndste aller menschlichen Handlungen in mechanische Handgriffe zerlegt wird. Nach etwa einer Stunde und zwanzig Minuten wurden viele Hocker von ihren Sitzenden verlassen, der Trotzige ist auch weg. Die Neugierde einiger war ausgereizt, ihre mentale Stärke war nicht gross genug um bis zur erlösenden Befriedigung am Ende zu warten. Für sie blieb Rehab Training eine Übung in Geduld und eine Einführung in physiotherapeutische Apparaturen.
Spezialausgabe
Turmbau zu Babel
Silvia Posavec (*1984), Absolventin des Master Kulturpublizistik der ZHdK, schreibt über Film, filmt die Welt und fasst ihre Beobachtungen in Rezensionen, Essays und Reportagen zusammen.