Barbarella ist abgestürzt, es herrschen «Las Templas»
Frühkommentar zu «Las Templas» von Ivy Monteiro
Wir müssen uns das Tau-Ceti Sonnensystem als letztlich unschuldigen Ort vorstellen, in dem nur zwei Figuren die Idylle trüben: Der böse Wissenschafter Durand-Durand und eine queere «Schwarze Königin», die eine Peitsche schwingt und die unschuldige, blonde Barbarella zum Lesbianismus bekehren will. Die Heldin des gleichnamigen Trash-Films von 1968 führt ihr ewiges Nachleben vor allem in der Popkultur. Nicht nur die 80er Boyband Duran-Duran erwiesen dem Film die Ehre, Videos von Kylie Minogue, Sven Väth und Madonna, zitieren die Pop-Ästhetik des Films, der die Lavalampe erst salonfähig machte.
Gleich zu Beginn des Abends von «Las Templas» wird klar, dass die Idylle gelogen war: Das Universum zerstört sich selbst, die einzigen Überlebenden scheinen drei weiss gekleidete schwarze Figuren zu sein, die sich in einem minimalen weissen Bühnenbild bewegen und bald anfangen zu tanzen. Eine schwarz gekleidete ominöse Gestalt setzt sich in Zeitlupe in Bewegung und fängt an, die Bühne wie ein Zeiger der ablaufenden Weltenuhr zu umrunden. Projektionen auf den weissen, wehenden Vorhängen künden vom Ende der Welt, von der Gnadenlosigkeit der Zeit und dass die wackeren Held:innen das Raum-Zeit-Gefüge wie Bulldozer niederreissen werden. Den Betrachter:innen, die bei dieser Beschreibung stutzten und sich das Ganze als viel zu hoch gegriffen und way-over-the-top vorstellen, denen sei hier gleich versichert, dass das vollumfänglich zutrifft. Denen sei aber auch gesagt, dass das in den zukünftigen Universen des Pop so sein muss, ehe er von den Laserkanonen der Protagonist:innen in einen sehr farbigen Papagei verwandelt wird, der fortan Lieder von Britney Spears krächzt.
Die Fallhöhe, das Deklamieren von grossartigem Text bei trivialem Stil, gehört zum Pop wie das Barbarella-Poster ins Zimmer eines 70er-Jahre männlichen Cis-Teenagers. Die künstliche Welt wird bei «Las Templas» aber immer wieder durchbrochen, immer dann, wenn die tanzenden Gestalten hinter ihren geschminkten Masken anfangen zu singen. Wunderbare Stimmen klingen durch, die Herleitung der Person durch das lateinische Kunstverb «per-sonare» (durchklingen) wird spürbar, ein Hauch von Authentizität, von Erlebtem und Erlittenem durchzieht die hedonistische Welt des Utopischen. Eine Gegen-Pop-Welt wird vor unseren Augen ertanzt und Tau-Ceti abgerungen. Die Codes und Gesten des Voguing durchziehen den Reigen an Bildern, sie sind ein Versprechen nach Erlösung im Augenblick. Im besten Moment des Abends stellt sich die schwarz gekleidete Gestalt nicht als Bedrohung heraus, sondern als Verbündete, die mit dem Rest der Truppe das Leben feiert.
In einer Textpassage wundern sich «Las Templas», dass gerade sie die Apokalypse überlebt haben. Barbarella ist schon längst abgestürzt, die «Schwarze Königin» entpuppt sich als die eigentliche Heldin, wir müssen nur hinter die Fassade des Heteronormativen blicken, um die Wahrheit zu erkennen. Ivy Monteiro und den Mitstreiterinnen kann man so oder so eine strahlende Zukunft voraussagen und sich auf ein nächstes Gegen-Pop-Spektakel freuen.
Ivy Monteiro entwickelt figurative Darstellungen in Tanz, Performance & Musik. Mit fluiden Gestalten und Charakteren vereint Monteiro Themen wie Feminity und Gender und untersucht soziale und ethnische Stereotypen. Monteiros bekanntestes Alter-Gender-Bender-Ego Tropikahl Pussy widmet sich, wie der Name schon verrät, tropischen Möglichkeiten. Ivy Monteiros Werke wurden bisher im Museu da Imagem e do Som de São Paulo, Queer Biennial II in Los Angeles, Les Urbaines in Lausanne, Eco Futures Festival in London und anlässlich der Eröffnungsfeier des Schweizer Pavillons an der Biennale Venedig 2019 präsentiert. «Las Templas» ist das erste abendfüllende Stück von Ivy Monteiro für die Bühne.
Spezialausgabe
Figuren des Figurierens
Damian Christinger (*1975) ist freier Kurator und Publizist. Als Kulturhistoriker interessiert er sich für globale transkulturelle und transtemporale Bewegungen.