Backen macht Freude
Wenn ich an meine Grossmutter und die Zeit bei ihr denke, kommen mir sofort ihre Koch- und Backbücher in den Sinn. Die Papierfetzen mit Rezepten, die den Einband der Bücher sprengen, und das Klebeband, das die Seiten im Bund zusammenhält, faszinieren mich. Ich begebe mich auf die Suche nach den Sammlungen mit den bunten Bildern.
Auch mir macht das Backen Freude. Als Kind liebte ich es, mit meiner Grossmutter Erika in ihrer kleinen Küche zu stehen und mir verschiedene Rezepte auszusuchen. Sie lebte in einem Haus am Stadtrand von München, umschlossen von einem grossen Garten, und ich war nahezu jeden Tag bei ihr. Im Januar 2022 verstarb sie. Ich trauere immer noch und habe das Gefühl, nun einen Teil von ihr mit den Büchern bei mir zu tragen.
Insgesamt finde ich zwei Exemplare aus verschiedenen Zeiten. Das erste Buch ist aus dem Jahr 1930, ein Jahr nach der Geburt meiner Grossmutter. Sie übernahm es von ihrer Mutter. Es ist die Erstauflage «Backen macht Freude» von Dr. August Oetker und dem dazugehörigen Verlag. Ein Marketing-Schachzug, um das hauseigene Backpulver und den Vanillezucker an die Hausfrauen in Deutschland zu verkaufen. Das Buch war schon damals ein Muss für jeden Haushalt und verkaufte sich über 26 Millionen mal. Immer wieder gibt es eine Neuauflage mit verbesserten Rezepten und neuen Bildern. Generationen von Frauen lernten mit diesem Buch backen, so wie meine Grossmutter, meine Mutter und ich. Dr. Oetker adressiert es klar an Hausfrauen, denn im ganzen Oetker-Kosmos geht es darum, den Ehemann mit Backerzeugnissen glücklich zu machen und den Umsatz von eigenem Backpulver zu steigern.
Bunte Bilder von gelungenen Torten und tollen Puddings sind in den Büchern zu finden. Ich schaute sie mir gerne an und entschied mich für das aufwändigste Rezept. Bereits als Kind verstand ich, dass die Zeichnungen der Backwaren per Hand gemacht sind, und es fühlte sich so an, als wäre dieses Backbuch etwas Kostbares. Dass ich eigentlich ein Werbebuch in der Hand hielt, war mir nicht klar.
Es finden sich nicht nur Rezepte sondern auch Anleitungen, wie man die Back-Fähigkeiten verbessern kann.
Als ich das Kleinkindalter hinter mich liess und zu lesen begann, verstand ich allmählich, dass es in der Zeit, als meine Grossmutter aufwuchs, anders zuging als heute. Schon im Vorwort dreht sich alles darum, dass eine Frau ihren Ehemann und Gäste mit den eigenen Erzeugnissen aus der Küche begeistern soll. Und dass sie bereits im jungen Alter lernen muss, wie man die perfekte Hausfrau wird. Auch vor dem Fernsehen machte das werbewütige Dr. Oetker-Imperium nicht Halt. In einem Werbespot aus dem Jahr 1954 bekommt Oetkers Testimonial Frau Renate unangekündigten Besuch von Mutter und Schwiegermutter. Schnell zaubert sie mithilfe des Backbuchs und dem Backpulver riesige Torten – alle sind glücklich. Als wäre das nicht schon genug, sagt der Sprecher am Ende: «Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?» Noch heute frage ich mich, wie so ein Scheiss durchgehen konnte. Und denke gleichzeitig: Wenigstens ist das Backpulver gut.
Die Bücher sind besondere Zeugnisse der Zeit, weil sie auf spielerische Weise den Wandel der Gesellschaft zeigen. Das Back-Imperium unterstützt mit seinen Büchern das Familienbild der Nationalsozialisten, und hauswirtschaftliche Vereine rufen dazu auf, Männern und Söhnen Backerzeugnisse an die Front zu schicken. Während der 1950er Jahre und dem Wirtschaftswunder kommen immer ausgefallenere Rezepte hinzu, und ab den 1960er Jahren gibt es Anleitungen, die mit modernsten Küchenmaschinen von Bosch und Co. nachgemacht werden können. «Backen macht Freude» begleitet den technischen Fortschritt. Diverse ausgeschnittene Werbeanzeigen aus Zeitschriften finden sich im Umschlag der Bücher meiner Grossmutter.
Spezialausgabe
Legenden
Karolina Sarre (*2000) lebt in Zürich und ist Studentin des Master Kulturpublizistik an der ZHdK. Nebst ihrer Arbeit in der Zollfreilager-Redaktion ist sie freie Journalistin und als Produktionsassistentin bei der Tanzcompagnie cie O. tätig.