Auffangbecken der C-Promis
Sie standen im Scheinwerferlicht, bevor sie in Vergessenheit gerieten. Im Dschungelcamp, dem Promi-Auffangbecken kann man die Gefallenen sehen – beim mehr oder weniger gelingenden Versuch, wieder aufzustehen.
«David Odonkor kann keine Popos mehr sehen – und fliegt», berichtet die BILD. «Auszug an Tag 4: WEICHEI WENDLER!», posaunt die BILD. «Eike Immel bekommt 563 Euro Bürgergeld im Monat – und lebt wie ein Pascha» schreibt FOCUS Online.
Zur Primetime, freitags um 20:15 Uhr, schalten zehntausende Zuschauer:innen ein, wenn es heisst «Ich bin ein Star, holt mich hier raus». Jedes Jahr im Januar strömen Stars und Sternchen nach Australien, um sich zwei Wochen lang rund um ein Lagerfeuer in New South Wales zu tummeln – im Dschungelcamp. Ausser bei der Bezahlung wird kein Unterschied gemacht, wer bekannter oder reicher ist. Alle Teilnehmer:innen schlafen in Hängematten, tragen rote Trekking-Hosen und ein olivfarbenes Shirt mit einer Telefonnummer auf dem Rücken, unter der die Menschen vor dem Fernseher für sie abstimmen können. Ziel des Spiels sind Unterhaltung und der Ehrgeiz, die Zuschauer:innen für sich gewinnen zu können – durch Sympathie, Ehrlichkeit oder Intrigen. Wer am längsten durchhält, wird am Ende Dschungelkönigin oder -könig und erhält zusätzlich zur Gage, die je nach Bekanntheitsgrad zwischen 10’000 oder 150’000 Euro variieren kann, eine Siegesprämie von 100’000 Euro. Doch bevor es zu gemütlich wird, müssen die Promis jegliches Hab und Gut abgeben und sich auf den «Überlebenskampf» im künstlich angelegten Dschungel einlassen. Selbstverständlich laufen dabei ständig Kameras mit – Big Brother is watching you.
Viele «Prominente» nehmen an dieser Show teil, um, nachdem sie weitgehend vergessen gingen, wieder ins Rampenlicht zu gelangen. Ich denke da zum Beispiel an Eike Immel, ehemaliger Torwart und deutsche Fussballlegende, der recht schnell und heftig gefallen ist. Immel hatte eine erfolgreiche Karriere im Profifussball und spielte in den 80er Jahren für Vereine wie Borussia Dortmund und den VfB Stuttgart in der Bundesliga. Er war auch Teil der deutschen Nationalmannschaft und nahm an Europa- und Weltmeisterschaften teil. Nach seiner aktiven Fussballkarriere geriet er in finanzielle Schwierigkeiten. Er hatte sein als Profi gut verdientes Geld für teure Autos, Essen und Parties ausgegeben, in Saus und Braus gelebt, aber sich um Zukunft und Altersvorsorge nicht gekümmert. Mit den Jahren häuften sich Schulden an. 2008 musste Immel Privatinsolvenz anmelden.
Kurz darauf fand man ihn im Dschungel mit einer Gage von 70’000 Euro wieder. Trotz panischer Angst vor Ratten und unwürdigen Dschungelprüfungen belegte er den fünften Platz. Die Siegesprämie, die er so dringend gebraucht hätte, verpasste er. Im TV verhielt er sich weitestgehend unauffällig, erzählte aber grosszügig von seiner Leidensgeschichte, die wohl die Zuschauer:innen dazu bewegt hat, für ihn anzurufen. Nach dem Dschungel musste sich Eike Immel allerdings, wie schon in den Jahren davor, vor Gericht behaupten. Diesmal wurden ihm Betrug und Kokain-Handel vorgeworfen, für letzteren wurde er allerdings freigesprochen. Die Hoffnung nach dem Dschungelcamp wieder ein sorgenfreieres Leben führen zu können, erfüllte sich nicht. Eine weitere Verurteilung, wegen fehlender Unterhaltszahlungen folgte, die Boulevardmedien sorgten für zugehörige Schlagzeilen.
Im Sommer 2015 fand man Immel dann wieder beim Dschungelcamp, in einer Sonderausgabe, in der Prominente um den Einzug in den richtigen Dschungel in Australien kämpfen – Spoileralarm: war nix. Immel stand schlammbeschmiert und betröppelt nicht auf dem Sieger:innenpodest. Im April diesen Jahres erzählte er dann offen in der Doku «Über Geld spricht man doch» von seinem turbulenten Leben auf Sat.1, wie auch Reality-Promi und Dschungelleidensgenossin Cora Schumacher. Heute lebt er von Bürgergeld, leistet sich laut Focus-Online-Berichterstattung eine Putzfrau, weil er noch nie einen Boden geputzt hat, und geht ausserdem jeden Tag essen – am Ende des Monats bleiben ihm, so die Bild, noch 2,69 Euro. Ein echter Pascha eben!
Der Fall des Eike Immel ist zweifellos tragisch. Tragisch ist aber auch, dass das Auftreten von Prominenten in Reality-TV-Shows und die Anzahl der Sendungen in den letzten Jahren stark zugenommen haben, weil sich Menschen und Medien an den Abstürzen und Comeback-Versuchen der Prominenten erheitern. Menschen schauen diese Sendungen, um sich besser zu fühlen und sich über andere zu amüsieren. Manchmal ist es schwer zu ertragen, was sich auf dem Bildschirm abspielt. Man spricht hierbei auch von einem «guilty pleasure», die Zuschauer:innen schämen sich zwar, haben aber gleichzeitig Spass am Inhalt der Sendung. Das mag daran liegen, dass sich die Teilnehmer:innen in diesen Formaten meist zum Affen machen und scheinbar alles tun, um in der Öffentlichkeit zu stehen. Reality-Shows leben vom Gefühl der Fremdscham, sagt Christine Lötscher, Professorin für Populäre Literaturen an der Universität Zürich. Auf der anderen Seite gibt es Produktionsfirmen, die die Verzweiflung der Kandidat:innen schamlos ausnutzen, um sie vorzuführen.
Spezialausgabe
fallen
Karolina Sarre (*2000) lebt in Zürich und ist Studentin des Master Kulturpublizistik an der ZHdK. Nebst ihrer Arbeit in der Zollfreilager-Redaktion ist sie freie Journalistin und als Produktionsassistentin bei der Tanzcompagnie cie O. tätig.