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Urs Andreas Wickli

A wie Ars una

Was ist ein „Kunstmuseum für aussereuropäische Kulturen“? Der folgende Text diskutiert den universalistischen, den partikularistischen und den relativistischen Kunstbegriff und fragt nach dem Erneuerungspotenzial eines Museums, das den Blick des Besuchers mit ins Bild rückt.

Jedes Museum hat seine eigene Geschichte und Vorgeschichte. Die Bestände des Museums Rietberg gehen zur Hauptsache auf ein Legat von Eduard von der Heydt (1882-1964) zurück. Er hatte seine Sammlung angelegt gemäss der Maxime: ars una, „es gibt nur eine Kunst“ (vgl. Website Rietberg). Diese Maxime zeugt von einer universalistischen Auffassung von Kunst als einem transhistorischen und transkulturellen Phänomen. So verstanden, fallen die Höhlenmalereien von Lascaux, eine Tlingitmaske aus dem 18. Jahrhundert und das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch unter dieselbe Kategorie, Kunst eben.

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Dieses universalistische Kunstverständnis wurde verschiedentlich eingegrenzt oder relativiert, d.h. in Frage und zur Disposition gestellt. Kunstgeschichtliche Einwände dagegen wurden formuliert, und aus ethnologischer Warte ergibt sich eine Reihe von Vorbehalten. Was die Kunstgeschichte betrifft, legt eine ihrer Strömungen nahe, dass die Anwendung des Begriffs von Kunst mit Vorteil eingeschränkt werde auf die Moderne, welche in einem spezifischen geographischen Raum – in Europa – zu einer spezifischen Zeit – mit der Renaissance – begann. So etwa wies Hans Belting mit Bild und Kult: eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst (Belting 1990) nach, dass vor der Moderne das autonome Kunstwerk inexistent war. Die Folge davon ist eine radikal historistische, partikularistische Auffassung von Kunst. In ihrer zugespitzten Form lautet diese Auffassung: Sinnvoll von Kunst sprechen könne man nur in Bezug auf die Moderne und seit der Moderne, da es nur in ihr einen gesellschaftlich ausdifferenzierten Bereich namens Kunst gebe. Diese Position betont überdies, „dass unser Kunstbegriff erst ein Produkt der Neuzeit ist“ (Belting 2002). Wenn nun also durch gewissermassen binnenkulturelle Forschung die Historizität des Kunstbegriffs herausgearbeitet und daraus sogar die Zeitgebundenheit von dessen Anwendbarkeit abgeleitet worden ist, ist es wenig erstaunlich, dass die Wissenschaft vom kulturell Fremden, die Ethnologie, punkto Kunst zu einer relativistischen Sichtweise einlädt. Auf diese steuern sowohl eine klassisch zu nennende ältere als auch eine reflexive neuere Ethnologie zu.

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Für die klassische Ethnologie mag exemplarisch nachfolgender Satz von Marcel Mauss stehen: „Un objet d’art, par définition, est un objet reconnu comme tel par un groupe“ (Mauss 2002). Mindestens drei Kommentare drängen sich hierzu auf: 1. Kunst ist, damit es sie gibt, abhängig von einer Anerkennung als Kunst und zwar abhängig von einer solchen Anerkennung durch ein Kollektiv. 2. Mit enthalten in dieser Definition ist, dass, was von Gruppe A als Kunst anerkannt wird, möglicherweise von Gruppe B nicht als Kunst anerkannt wird. Damit liegt ein starker Relativismus vor, ein relativistischer Begriff von Kunst. 3. Auch folgender Gedankengang ist, wenn nicht in der Definition von Mauss schon angelegt, mit dieser vereinbar: Wenn eine Gruppe gar nicht über einen Kunstbegriff verfügt, kann sie Objekte auch nicht als Kunstobjekte betrachten; es gibt dann keine Kunst.

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Von dieser dritten letzten Überlegung ist es nicht weit zu Positionen der reflexiv gewordenen Ethnologie, die dadurch, dass sie zur eigenen Gesellschaft in einen ethnographischen Abstand rückt, deren Schein-Selbstverständlichkeiten untersucht. In den Worten von Paul Rabinow lautet das dazugehörige Programm: „We need to anthropologize the West: show how exotic its constitution of reality has been; emphasize those domains most taken for granted as universal (this includes epistemology and economics) […]“ (Rabinow 1986). Der Relativismus erstreckt sich dann auf die Verfasstheit der eigenen Gesellschaft. Dass deren Kapitalismus nicht naturwüchsig, sondern eine kulturelle Einrichtung sei, daran haben sich seit Karl Marx schon viele abgearbeitet, und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen haben die Kontingenz der Wissensproduktion und der mit ihr verbundenen Epistemologien herausgeschält.

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Epistemologien ihrerseits führen Taxonomien mit sich, d.h. Wirklichkeitsunterteilungen. Beispielsweise funktioniert der Begriff Kunst als Teil eines Rasters, der Wirklichkeit unterteilt. Der Begriff von Kunst aber wird mit einer Ethnologie à la Rabinow zunächst problematisch; freilich besteht dann, insofern dieser Begriff sich halten wird, auch die Chance, dass er reflexiv wird. Und solcherart relativistisch reflexiviert würde er keineswegs das Ende der Institution „Kunstmuseum für aussereuropäische Kulturen“ einläuten, sondern könnte stattdessen, unter dem Stichwort: Reflexivität, einen Neuanfang dieser Museumssorte markieren. Eine Reflexivität ermöglichende Ausstellungspraxis etwa könnte dabei in einer rigoros betriebenen doppelten Kontextualisierung bestehen: Sowohl der Herkunftskontext, dem die ausgestellten Objekte entstammen, würde bestmöglichst ausgeleuchtet – mitsamt der Frage, inwieweit ein sogenannt emischer Begriff von Kunst vorliege – als auch der Kontext, innerhalb dessen das Museum selbst agiert, würde eingehend thematisiert – mitsamt der Frage, welcher sogenannt etische Kunstbegriff aktiviert sei.

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Die doppelte Kontextualisierung brächte in der Begegnung mit aussereuropäischen Kulturen eine Reflexivierung. Eine solche möchte man, wenn sich in der Ausstellung „Gastspiel“ die Gegenwartskunst und die Geschichte des Museums begegnen, beiden Seiten wünschen.

  • Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. Beck, 1990
  • Hans Belting: Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren. Beck, 2002 (1995)
  • Marcel Mauss: Manuel d’éthnographie. Payot, 2002 (1947)
  • Paul Rabinow: Representations Are Social Facts: Modernity and Post-Modernity in Anthropology. In: James Clifford & George E. Marcus (Hrsg.): Writing Culture: the Poetics and Politics of Ethnography. University of California Press, 1986