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Raffaela Kolb

Romantik und das moderne Ich

Ideale, Emotionen und ihre Skripts

Kürzlich habe ich eine Person, mit der ich viel Zeit verbringe, per Kurznachricht gefragt, was sie als Inbegriff einer romantischen Situation verstehe. Ich krieg ein Foto von mir zurück, unten rechts in der Bildecke sitzend, mit dem Rücken zur Kamera. Vor mir öffnet sich die baskische Landschaft, Wolken zerreissen dramatisch den in Abendstimmung gehüllten Himmel, die Sonne kämpft sich trotzdem durch, so dass sie den Atlantik darunter grellweiss erleuchtet. Noch dramatischer: Der Filter über dem Bild. Dazu gibt’s ein Zwinkeremoji. Klischee, okay.

Wär ich aus Ölfarbe und würde mein Cap durch eine Kopfbedeckung aus dem 19. Jahrhundert ersetzt, ich könnte als Caspar David Friedrich im Kunstmuseum hängen, neben dem «Mönch am Meer» in der Nationalgalerie Berlin oder dem «Wanderer über dem Nebelmeer» in der Hamburger Kunsthalle. Und wie der Wanderer und der Mönch lenke auch ich als für Friedrich so typische Rückenfigur die Aufmerksamkeit der betrachtenden Person weg von mir selber, auf die endlos scheinende Weite der Natur vor mir.

Die Romantik des 19. Jahrhunderts stellt das Gefühl und die Natur mit ihren zerstörerischen und unerklärlichen Kräften in den Mittelpunkt. Im Gegensatz zur Aufklärung, die – nicht nur, aber auch in der Kunst – von Vernunft und Berechenbarkeit geprägt ist, sieht die Romantik die Welt und insbesondere die Natur als etwas, das sich nicht mit der Vernunft erklären lässt. Die Rückenfigur veranschaulicht und produziert eine Natur-Mensch-Beziehung, die für das Erleben von Einsamkeit, aber auch von «romantischer Liebe» prägend sind.
Aber wie natürlich sind denn diese Gefühle überhaupt? Gibt es sowas wie diese romantische Romantik? Welchen Werten und Kriterien folgen wir eigentlich, wenn es um romantische Beziehungen oder auch Freund:innenschaft geht? Sind es nicht erlernte, gar beigebrachte Ideale? Aufgedrückte Normen?

Robert Misik schreibt in Liebe in Zeiten des Kapitalismus: «Wir tun alle andauernd Dinge, die wir uns nicht selbst ausgedacht haben, wir folgen bis in die kleinste Alltagsgeste hinein kulturellen Skripts.» Unsere Vorstellungen von romantischer Liebe sind demgemäss durch kulturindustriell produzierte Bilder geformt und verkapitalisiert, unsere Vorstellung von Romantik folgt gesellschaftlichen Maximen. Die Journalistin Nicole Schöndorfer zitiert und bezieht sich in ihrem Podcast Darf sie das? auf Alexandra Kollontai: «Um Liebe anders zu geben, zu erleben und zu denken, ist eine Umgestaltung dieses Systems notwendig. (…) Es geht nicht nur um eine Veränderung unserer emotionalen und psychischen Wahrnehmung von Liebe, das reicht nicht, vielmehr muss das Potential zu lieben vergrössert werden, wenn Beziehungen glücklicher und tiefer sein sollen.»

Ein Jahr vor seinem Suizid schrieb der deutsche Dichter Heinrich von Kleist eine Besprechung des Gemäldes «Mönch am Meer» von Caspar David Friedrich in den Berliner Abendblättern, die er gemeinsam mit Clemens Brentano und Achim von Armin verfasste. Alle drei waren bedeutende Schriftsteller und Vertreter der deutschen Romantik in der Literatur, gemeinsam sahen sie «Mönch am Meer» in einer Ausstellung der Akademie. Kleist, der um 1808 für einige Zeit in Dresden lebte und zum Freund:innenkreis um Friedrich gehörte, beschrieb das Gemälde nicht in seiner Beschaffenheit, aber mit emotionaler Betroffenheit: «…und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen wie die Apokalypse da und da es in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit nichts als den Rahmen zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.»

Das Einzige, woran sich die betrachtende Person festhalten kann, sei der Mönch auf dem Bild. Das ist, was Kleist in seiner Betrachtung beschreibt. Er sieht mit den Augen des Mönchs das Ende der Welt, die Apokalypse. Was bleibt da übrig vom Jetzt? Genauso rahmenlos ist unsere Stellung in der Gesellschaft: Die Abhängigkeiten im gesellschaftlichen System verhindern es, Zeit und Energie in zwischenmenschliche Beziehungen zu stecken, das ist es, was Nicole Schöndorfer im Podcast aussagt. Abhängigkeiten, die wie ein unendliches Gewitter mit seiner zerstörerischen Kraft über uns hängen und unsere Stellung in der Welt traurig und unbehaglich machen.

Auf dem Foto der baskischen Landschaft sieht man nur mich. Und dennoch ist die fotografierende Person genauso Teil der Momentaufnahme, wie Kleist beim Betrachten von «Mönch Am Meer» Teil des Gemäldes wird. Kleist identifiziert sich mit der Figur auf dem Gemälde, anstatt auf sie zu schauen ist er mit der Figur im Bild. Ein gemeinsamer Moment. Etwas, an dem man sich festhalten kann. Ohne den normativ für Romantik stehenden Trigger Sonnenuntergang wäre diese Aufnahme wohl nicht entstanden. Eigentlich aber drückt sie das Romantische in einem tieferen Sinn aus: Zwischenmenschliche Zeit, die sich zwei Menschen füreinander nehmen und teilen können. Kein Klischee, und kein Anlass für Zwinkeremojis.